Inhaltszusammenfassung:
Die Visite spielt eine zentrale Rolle für die erfolgreiche Behandlung von Patienten in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie, aber auch darüber hinaus.
Studien zur Visite beschäftigen sich hauptsächlich mit Kommunikation, Funktionen der Visite, Rolle der Pflegenden sowie Effektivität. Psychosomatische Visitenforschung dreht sich dabei vor allem um das Ulmer Visitenmodell, bei dem die Visite unter psychosomatischen Aspekten umgestaltet wird.
Bisher existieren jedoch nach unserem Wissen kaum Studien zur Patientensicht hinsichtlich der psychosomatischen Visite und nur wenige aktuelle Studien zum Thema „Psychosomatische Visite“ insgesamt.
Auch gibt es keine einheitlichen Rahmenrichtlinien zur psychosomatischen Visite, sodass von einer großen Variabilität bei den Visiten ausgegangen werden muss.
Die vorliegende deskriptive explorative Studie hatte zum Ziel, die Patientensicht bezüglich des psychosomatischen Visitenformats zu eruieren, vor allem hinsichtlich Bedeutung, Zielen, Struktur und Rahmenbedingungen.
Dazu wurden 168 Patienten, die sich in (teil-)stationärer psychosomatischer Behandlung befanden, mittels Fragebögen befragt.
Zentrale Ergebnisse der Patientenumfrage sind:
- Rahmenbedingungen: Die Patienten geben eine ideale Visitendauer von durchschnittlich 12 Minuten und eine individuelle Anpassung der Gesprächszeit an, weiterhin maximal vier Team-Teilnehmer bei der Visite (Median) und als Ort mehrheitlich den Gruppenraum.
- Ablauf: Angegeben werden der Bedarf nach einem Informationsblatt bzw. einer Erklärung über die Visite generell vor der ersten Visite (Klarheit der Ziele der Visite auf einer Skala von Null bis Zehn: 5,9) sowie einem Ablaufplan vor jeder Visite. Die meisten Patienten empfinden es als störend, wenn Personen während der Visite den Raum verlassen oder hinzukommen und/oder wenn ihnen Unbekannte anwesend sind.
- Subjektive Bewertung: Auf einer Skala von Null bis Zehn bewerten die Patienten die Visite im Durchschnitt als wichtig (6,2) und sinnvoll (7,1). Angst vor der Visite wird selten benannt (3,1), Aufregung davor relativ gesehen etwas häufiger (4,5), ebenso wie die Vorfreude (3,9). Die Patienten haben das Gefühl, in der Visite Raum für ihre Anliegen (6,2) zu finden.
- Wünsche an die psychosomatische Visite aus Patientensicht: Die Patienten geben diverse Vorschläge für eine Optimierung der Visite an, u.a. zu Zeiten (pünktlich und individuell), Anzahl der Visitenteilnehmer (kleinerer Rahmen), Aufklärung über die Visite (vor der ersten Visite), Raumanordnung (z.B. Tisch), Gesprächsleiter, Gesprächsführung, Gesprächsinhalt sowie Atmosphäre während der Visite.
- Gruppenunterschiede: Signifikante Unterschiede werden vor allem bezüglich Geschlecht, Alter, Behandlungssetting (teil-/stationär) und Visitenvorerfahrung gefunden. So geben weibliche Patienten hochsignifikant mehr Angst (MW=3,6 versus 1,8) und Aufregung (MW=5,1 versus 3,4) vor der Visite an als männliche Patienten (p<0,01). Insgesamt zeigen sich nur wenige signifikante Unterschiede, stattdessen jedoch einige klare, gruppenübergreifende Tendenzen.
Eine patientenzentrierte Gestaltung der Visite ist empfehlenswert, denn nur dann können die vollen Möglichkeiten für eine sinnvolle und effektive Behandlung ausgeschöpft werden. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Notwendigkeit einer Aufklärung der Patienten über die Ziele der Visite.
Weitere Studien zur psychosomatischen Visite sind empfehlenswert, um hier aufgestellte Hypothesen zu überprüfen, Mitarbeiter zu befragen sowie die jeweiligen Visiten an verschiedenen Einrichtungen der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie in Deutschland zu vergleichen. Eine genaue Definition der Rolle und des Formats der psychosomatischen Visite ist sinnvoll, gleichzeitig sollte sie in das jeweilige Behandlungskonzept passen.