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Die Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome nimmt im Laufe der letzten Jahre
sowohl in Deutschland als auch in anderen westlichen Ländern stetig zu. Diese
Zunahme betrifft in großem Maße prognostisch günstige, papilläre
Mikrokarzinome und ist zum Teil durch die besseren diagnostischen
Möglichkeiten bedingt. Zudem herrscht nach wie vor rege Diskussion über das
nötige Ausmaß der chirurgischen Therapie bei nicht selten erheblichen,
postoperativen Komplikationen. Vor diesem Hintergrund wurde im November
2012 die bis dahin gültige S1-Leitlinie von der neu erarbeiteten S2k-Leitlinie
"Operative Therapie maligner Schilddrüsenerkrankungen" der DGAV abgelöst.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den möglichen Einfluss dieser Leitlinie auf
die klinische Routine zu evaluieren. Hierzu wurden retrospektiv die Daten aller
Patienten ausgewertet, welche im Zeitraum von Januar 2005 bis April 2013 am
Universitätsklinikum Tübingen wegen eines Schilddrüsenkarzinoms operiert
wurden. Es wurden Tumorentität, Epidemiologie, operative Therapie und
postoperative Komplikationen (transiente und permanente Hypocalcämie,
transiente und permanente Recurrensparese und postoperative Nachblutung)
untersucht. Des weiteren wurde untersucht ob, gemessen an den
Empfehlungen der neuen S2k-Leitlinie, chirurgisch zu radikal (Overtreatment),
zu zurückhaltend (Undertreatment) oder Leitlinien-konform therapiert wurde.
Das vorliegende, 108 Patienten umfassende, Kollektiv präsentierte sich im
Vergleich zu anderen Studien zu malignen Schilddrüsenerkrankungen
hinsichtlich Alters- und Geschlechtsverteilung weitestgehend repräsentativ. Die
Häufigkeitsverteilung der histopathologischen Karzinomtypen konnte die
Angaben in der Literatur bestätigen (papillär n=78 (72,2%), follikulär n=14
(13%), medullär n=7 (6,5%), anaplastisch n=5 (4,6%), gering differenziert n=4
(3,7%)). Das postoperative Auftreten von transienten (n=11 / 10,2%) und
permanenten Recurrensparesen (n=7 / 6,5%), transienten (n=17 / 15,7%) und
permanenten Hypocalcämien (n=6 / 5,6%) und interventionsbedürftigen
Nachblutungen (n=2 / 1,85%) lag im Bereich vergleichbarer Literatur. Beim
Vergleich zwischen Eingriffen mit und ohne Lymphknotendissektion konnte
sowohl für transiente und permanente Recurrensparesen, als auch für
transiente und permanente Hypocalcämien ein häufigeres Auftreten zu
Ungunsten der Lymphknotendissektionen nachgewiesen werden. Bezüglich
transienter Hypocalcämien war der Unterschied zudem als signifikant zu werten
(p<0,01). Bei der Gegenüberstellung von Primäroperationen und
Komplettierungseingriffen traten permanente Recurrensparesen und
permanente Hypocalcämien häufiger im Rahmen von Komplettierungseingriffen
auf. Bei n=31 Patienten (28,7%) wurde, gemessen an der aktualisierten S2k-
Leitlinie, ein zu radikaler Eingriff (Overtreatment) durchgeführt. Das zu radikale
Vorgehen bestand aus n=30 unnötig durchgeführten Lymphknotendissektionen
und n=1 totalen Thyreoidektomie statt Hemithyreoidektomie. Bei diesen
übertherapierten Patienten zeigte sich darüber hinaus eine sehr geringe nodale
Metastasierungsrate (n=2 / 6,7%), im Vergleich zu S2k-Leitlinie-konformen
Dissektionen (n=31 / 81,6%), was einen statistisch höchst signifikanten
Unterschied darstellte (p < 0,0001). Im Vergleich zwischen übertherapierten
Fällen und S2k-Leitlinie-konform therapierten Fällen ließ sich für die
verschiedenen Komplikationen eine nicht signifikante Häufung bei Übertherapie
feststellen. Die in dieser Arbeit gewonnenen Ergebnisse weisen bei ca. 1/3 aller
wegen Schilddrüsenkarzinom operierten Patienten ein Overtreatment gemäß
der aktuellen S2k-Leitlinie auf. Bei relevanten Komplikationen vor allem bei
Lymphknotendissektionen und Komplettierungseingriffen ist davon auszugehen,
dass Patienten durch eine stärkere Implementierung der aktualisierten S2k-
Leitlinie in die klinische Praxis profitieren können. Diese Aussage wird durch
die, im Vergleich zum S2k-Leitlinien-konformen Vorgehen, sehr niedrige nodale
Metastasierungsrate der unnötig durchgeführten Lymphknotendissektionen
untermauert. |
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