Abstract:
Emil Lask wurde 1875 in Wadowice, Galizien (damals an der Ostgrenze des Habsburger Reichs, heutzutage Polen), in einem jüdisch-deutschen Elternhaus geboren. Er besuchte das humanistische Gymnasium in Freienwalde an der Oder, in der Mark Brandenburg, wo der Vater eine kleine Papierfabrik leitete. Nach der Reifeprüfung zog er nach Freiburg, um dort das juristische Studium anzufangen. Bald wechselte er aber zur Philosophie, die ihn schon im Schulalter interessiert hatte. Für diese Entscheidung spielte die Begegnung mit dem jungen Privatdozenten Heinrich Rickert eine große Rolle, einer Figur, die sein Leben sowohl in wissenschaftlicher als auch in persönlicher Hinsicht begleitete. Während des Studiums ließ er sich evangelisch taufen, allerdings mehr aus kulturellen als aus religiösen Gründen. Nachdem er einige Semester in Straßburg bei Wilhelm Windelband verbracht hatte, erlangte er 1901 den Doktortitel mit der in Freiburg bei Rickert eingereichten Dissertation Fichtes Idealismus und die Geschichte. Er zog dann nach Berlin, wo er rechtsphilosophischen Interessen nachging und bei Georg Simmel hörte. 1905 habilitierte er in Heidelberg bei Windelband mit der Schrift Rechtsphilosophie. Dort war er zunächst als Privatdozent, ab 1910 als außerordentlicher Professor und ab 1912 als etatmäßiger außerordentlicher Professor und Mitdirektor des Philosophischen Seminars tätig. 1911 veröffentlichte er Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre, die als seine Hauptschrift gilt. Im folgenden Jahre erschien seine letzte wichtige Veröffentlichung, Die Lehre vom Urteil. In den Jahren 1912-14 arbeitete er an einem System der Logik, an einem System der Philosophie und an weiteren kleineren Projekten, wovon die im dritten Band der Gesammelten Schriften enthaltenen nachgelassenen Fragmente Zeugnis geben. Beim Ausbruch des ersten Weltkrieges meldete er sich aus nationalem Pflichtbewusstsein freiwillig als Infanterieunteroffizier. Er starb im Mai 1915 an der Ostfront, nicht weit entfernt von seinem Geburtsort.
Die vorliegende Schrift versucht, eine Gesamtdarstellung von Lasks Philosophie anhand der drei Grundbegriffe »Leben«, »Theorie« und »Wert« zu liefern. Der erste Teil ist der wenig erforschten Frühphase von Lasks Denken, insbesondere der Doktorschrift Fichtes Idealismus und die Geschichte gewidmet. Dabei werden vor allem die beiden Gedanken der »Irrationalität des Individuellen« und der »Wertindividualität« thematisiert. Nach einer kurzen Darstellung dieser beiden Grundgedanken (1.1 = Kap. 1) wird deren Ursprung bei Kant, Windelband und Rickert untersucht (1.2 = Kap. 2). Nach einer Darstellung von Lasks Fichte-Interpretation (1.4 = Kap. 3) schließt eine Betrachtung über Lasks Verhältnis zu Salomon Maimon den ersten Teil ab, wobei eine Verbindungslinie Kant-Maimon-Lask in Bezug auf den Irrationalitätsgedanken festgestellt wird.