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Psychische Erkrankungen, deren Diagnostik und effektive Behandlung,
stellen eine zentrale Herausforderung für die Gesellschaft und das
Gesundheitssystem dar. Gerade die Binge-Eating-Störung (BES), eine Essstörung
mit wiederkehrenden Essanfällen ohne kompensatorische Maßnahmen, gewinnt
aufgrund steigender Prävalenz in der Gesamtbevölkerung und häufiger
Komorbidität mit somatischen Diagnosen wie Diabetes-2 und Adipositas
zunehmend an Bedeutung. Zur Erweiterung des transdiagnostischen
Erkenntnisstands und zur Entwicklung darauf basierender innovativer, neuer
Behandlungsansätze bei der BES bieten sich vor allem multimodale Ansätze an.
Multimodale Ansätze verbinden verschiedene experimentelle Ansätze und
Technologien wie bildgebende Verfahren, Neuromodulation, virtuelle Realität (VR),
selbstberichtete Fragebögen, semi-strukturierte klinische Interviews und
experimentelle Paradigmen zur Operationalisierung kognitiver Funktionen, um
dadurch ein ganzheitliches und umfassendes Gesamtbild spezifischer
psychologischer Phänomene und psychopathologischer Phänotypen zu erhalten.
In der vorliegenden Dissertation wurden mithilfe multimodaler Ansätze kognitive,
neurobehaviorale und symptom-assoziierte Prozesse bei Konfrontation mit
Nahrungsreizen in Stichproben mit und ohne BES untersucht. Gewonnene
Erkenntnisse tragen dazu bei, ein tieferes Verständnis von spezifischen
Symptomen der BES, aber auch von essensbezogenen Kognitionen im
Allgemeinen und den zugrundeliegenden Prozessen zu erhalten. Somit kann der
grundlagenforschungsorientierte Wissensstand zur Objektivierung
essensbezogener Kognitionen in diesem Bereich erweitert werden; es können aber
auch neue Erkenntnisse bezüglich klinischer Implikationen, einer objektiven
Operationalisierung und neuer Behandlungsansätze bei der BES gewonnen
werden. Im Bereich der Grundlagenforschung konnte gezeigt werden, dass
differentielle Effekte bei der manuellen Interaktion mit Essen in der VR bei
Personen mit und ohne BES existieren und dies die Annahme eines impulsiven und
reflektierenden Systems stützt (Reflective-Impulsive Model; RIM). So fand sich eine
schnelle, impulsive erste Phase, bei der Essen schneller erkannt worden ist als
nicht-essensbezogene Kontrollobjekte und bei der ein nachfolgendes
Annäherungsverhalten zum Essen schneller eingeleitet wurde. In einer zweiten Phase wurde dieses Essen jedoch langsamer eingesammelt als die
Kontrollobjekte, was für die Aktivierung eines reflektierenden Systems spricht. Die
manuelle Interaktion mit Essen ging bei Personen ohne BES mit einer erhöhten
Aktivität im rechten dorsolateralen Präfrontalkortex (dlPFC) einher, was auf die
Aktivierung eines spezifischen Essensbewertungs-Netzwerks und auf eine
Interkonnektivität zwischen dlPFC und dem orbitofrontalen Kortex (OFC) hinweist.
Das schnellere Kategorisieren und Einleiten eines Annäherungsverhaltens bei
Personen mit BES deckt sich mit der Annahme einer erhöhten essensbezogenen
Impulsivität, steht jedoch im Kontrast zum Befund des verlangsamten Einsammelns
des Essens. Dies könnte allerdings auch durch möglicherweise aversive
motivationale Prozesse erklärt werden. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass
differentielle Effekte in der manuellen Interaktion mit Essen in der VR besser
detektiert werden können als auf einem 2D-Touchscreen. Im Bereich neuer
klinischer Implikationen zu Behandlungsansätzen der BES zeichneten sich zwei
Facetten ab: Zum einen zeigte sich, dass die Validierung des neu in der VR
implementierten experimentellen Paradigmas zu insensitiv erschien, um
differentialdiagnostisch relevante manuelle Interaktionsmuster mit Essen bei
Personen mit BES zu identifizieren und Bezüge zu spezifischen Markern der
Psychopathologie, des Essverhaltens, des Verlangens nach Essen oder der
generellen Impulsivität herzustellen. Zum anderen zeigte sich, dass die Verbindung
eines kognitiven Trainings zur Modifikation einer kognitiven
Aufmerksamkeitsverzerrung gegenüber Essen bei Patienten mit BES mit nichtinvasiver
Hirnstimulation einen vielversprechenden Ansatz bieten könnte. So
konnte die Inhibitionsfähigkeit mithilfe von 2 mA anodaler transkranieller
Gleichstromstimulation des rechten dlPFC in einem experimentellen Paradigma
gesteigert werden und ein neuromodulationsunspezifischer Effekt bei der
Reduktion von Binge-Eating-Episoden während der Studienteilnahme über 3
Messzeitpunkte hinweg beobachtet werden. Zusätzlich schienen vor allem
Personen mit erhöhter prädisponierter neuronaler Ressourcenallokation im EEG,
nämlich der P3-Komponente, von neuromodulationsgestützten Trainings
profitieren zu können, was Evidenz liefert, dass insbesondere interindividuell
abgestimmte kognitive Trainings zu einer maximalen Effektivität bei der
Behandlung von BES führen könnte. |
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