Das späte Mittel- und frühe Jungpaläolithikum der Côte Chalonnaise. Betrachtungen zu litho-technologischen Verhaltensweisen nebst forschungsgeschichtlicher Erörterungen - Eine Bestandsaufnahme -

DSpace Repositorium (Manakin basiert)


Dateien:

Zitierfähiger Link (URI): http://hdl.handle.net/10900/121841
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-1218417
http://dx.doi.org/10.15496/publikation-63207
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2021-12-16
Sprache: Deutsch
Fakultät: 7 Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich: Ur- und Frühgeschichte
Gutachter: Floss, Harald (Prof. Dr.)
Tag der mündl. Prüfung: 2021-05-14
DDC-Klassifikation: 500 - Naturwissenschaften
550 - Geowissenschaften
930 - Alte Geschichte, Archäologie
Schlagworte: Paläolithikum , Frankreich <Ost > , Burgund , Mittelpaläolithikum , Jungpaläolithikum , Aurignacien , Forschungsgeschichte , Artefakt
Freie Schlagwörter: Artefaktanalyse, Steintechnologie, Homo sapiens, Homo neanderthalenis, Rohmaterial, Côte Chalonnaise
research history
Paleolithic, eastern France, Burgundy, Middle Paleolithic, Upper Paleolithic, Aurignacian, stone Artifacts, lithic analysis, lithic technology, Homo sapiens, Homo neanderthalensis, Raw material, Côte Chalonnaise
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=en
Zur Langanzeige

Inhaltszusammenfassung:

Zusammenfassung Das Untersuchungsgebiet der Côte Chalonnaise im ostfranzösischen Südburgund erstreckt sich westlich der Saôneebene zwischen Chalon-sur-Saône und Tournus auf einer Fläche von knapp 400 km2 bei einer Ost-West-Ausdehnung von nur rund 10 km. Als Teil des Rhein-Saône-Rhône Grabenbruchsystems prägen hintereinander gelagerte Verwerfungen der jurassischen Formationen die Landschaft und bilden die charakteristischen Steilklippen, an deren Hängen seit Jahrhunderten Weinbau betrieben wird. Diese natürliche Barriere zwischen der Saôneebene und dem westlichen Hinterland wird nur durch vereinzelte Taleinschnitte durchbrochen. Karst­formationen wie Höhlen und Felsüberhänge sowie reiche Vorkommen verschiedener Silices, wie die Feuersteine der residualen argiles à silex Lagerstätten oder unterschiedliche Hornsteinvarietäten, stellen attraktive Faktoren für eine paläolithische Besiedlung dar (z.B. Teil I, Kapitel 4). Dass dieser Aspekt von Jäger- und Sammler­gruppen des Eiszeitalters nicht un­bemerkt und nicht ungenutzt blieb, davon legen eine Vielzahl von Höhlen- Abri- und Freiland­fundstellen eindrückliches Zeugnis ab. Die intensivste Nutzung der Region während des Paläolithikums, lässt sich nach derzeitigem Kenntnisstand während der menschheitsgeschichtlichen Umbruchphase im späten Mittel- und frühen Jungpaläolithikum zwischen rund 70.000 und 30.000 Jahren vor heute beobachten. Die reichhaltigen Zeugnisse der paläolithischen Vergangenheit erweckten schon früh das Interesse lokaler und regionaler Gelehrter und Amateur­archäologen, sodass mit den ersten Ausgrabungen in den 1860er Jahren in Germolles (Grotte de la Verpillière I), Culles-les-Roches (Grotte de la Folatière) oder Rully (Grotte de la Mère Grand) durch Méray, Landa oder Perrault die Côte Chalonnaise zu den Pionierregionen der französischen Paläolithforschung zu zählen ist (Pionierphase). Durch intensive Literatur- und Quellenrecherche lassen sich vier forschungsgeschichtliche Aktivitätsphasen innerhalb der vergangenen 150 Jahre skizzieren, die sich einerseits aus einem diachronen Vergleich der dokumentierten oder bekannten archäologischen Aktivitäten selbst ergeben, sich aber andererseits auch im rezeptiven Niederschlag der zeit­genössischen Fachliteratur wiederfinden (Teil I, Kapitel 8). Bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts folgen weitere Aktivitäten, welche die Erkenntnisse der Pionierphase weiter festigen und ausbauen (Konsolidierungsphase). Die Zeit zwischen den 1940er und 1970er Jahren ist anschließend vor allem geprägt von intensiven Prospektionstätigkeiten und besonders mit Namen wie Guillard und Gros verknüpft (Prospektionsphase), bevor es zu einem abrupten Verebben archäologisch motivierter Aktivitäten im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kommt. Erst mit der Wiederaufnahme und anschließend kontinuierlichen Fortführung der Forschungsarbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Floss (Universität Tübingen), rückt die Region wieder in den Fokus einer wissenschaftliche Auseinandersetzung (Tübinger Phase). Neben direkter archäologischer Primär­quellen­erschließung im Sinne moderner Ausgrabungen, ist die Aufarbeitung und Rekontextualisierung der umfangreichen Bestände an Alt- und Sammlungsfunden ein zentrales Forschungsanliegen. Hierzu leistet die vorliegende Arbeit, über die forschungsgeschichtliche Aufbereitung und Analyse hinaus, einen signifikanten Beitrag. Die konsequente und umfängliche Sichtung der zum Teil in unterschiedlichen Institutionen verstreuten Sammlungen, von Chalon-sur-Saône (Musée Denon) über Autun (Musée Rolin und Museum d’Historie Naturelle) und Mâcon (Musée des Ursulines) bis nach Lyon (Musée des Confluences und Laboratoire de Géologie) oder Saint-Germain-en-Laye (Musée d’Archéologie Nationale), durch den Autor und die Arbeitsgruppe Floss, sowie der intensive Kontakt mit lokalen Sammlern, erlauben nun erstmals die hier vorgelegte quantitative Gesamtschau der wichtigsten Inventare der Region, samt einer nach typo-technologischen Gesichtspunkten erfolgten chronologischen Untergliederung (z.B. Teil I, Kapitel 6). Im Zentrum der Arbeit steht die ausführliche Auswertung der identifizierbaren mittel- und jungpaläolithischen Artefaktkomponente innerhalb der Sammlungsinventare der beiden Freilandfundstellen von La Roche in Saint-Martin-sous-Montaigu und En Roche in Germolles (Teil II, Kapitel 1&2). Gestützt durch metrische und merkmalsanalytische Untersuchungen, werden nicht nur Erkenntnisse zu den jeweils vor Ort vollzogenen Handlungsschritten der Grundformproduktion herausgearbeitet, sondern auch deren technologisches Vorgehen identifiziert. Für beide Fundstellen lässt sich der Import von Rohmaterial samt dessen planvoller Zerlegung sowie die anschließende Werkzeugproduktion während der mittel- und jungpaläolithischen Nutzung wahrscheinlich machen. Für das Mittelpaläolithikum ist für die Grundformproduktion die Anwendung des Levallois-Konzeptes mit vorwiegend präferenziellem oder wiederholt zentripetalem Abbau als dominant herauszustellen. Neben morphologisch diversen Zielprodukten finden aber auch Entrindungs- und Zurichtungsprodukte bei der anschließenden Werkzeugherstellung Verwendung. Im Jungpaläolithikum ist die Produktion auf Klingen fokussiert. Diese werden vornehmlich an unidirektional abgebauten Kernen gewonnen und besitzen mehrheitlich ein gerades bis leicht gebogenes Profil. Den Kernen selbst wird im Vorfeld meist nur eine geringe konfigurative Bearbeitung zuteil, die auf eine Initialisierung mittels Kernkante ausgerichtet ist und sich gut in einen frühjungpaläolithischen Kontext eingliedern lässt. Für die Produktion von Klingenkratzern ist zudem eine Grundformselektion hinsichtlich kräftiger Klingen innerhalb des vorliegenden Spektrums zu beobachten. Während in En Roche eine Lamellenindustrie nur schwach vertreten ist, findet sich in La Roche die gesamte Bandbreite frühjungpaläolithischer Lamellenkerne in großer Stückzahl. Neben gekielten Stücken als klassische Aurignacienformen beinhaltet das Inventar auch Kerne von prismatischer und pyramidaler Morphologie, wie sie im Kontext eines Protoaurignacien regelhaft vertreten sind. Hier lassen sich besonders zum Inventar der Grotte de la Verpillière I starke Analogien erkennen. Basierend auf den dortigen radiometrischen Datierungen und im Vergleich mit entfernteren Inventaren wie beispielsweise aus der Grotte du Renne (Schicht VII) oder dem Trou de la Mère Clochette, ist – ohne eine greifbare stratigraphische Differenzierbarkeit der Stücke – eine mehrphasige Nutzung der Fundstellen während des Aurignaciens anzunehmen, die jedoch bereits im frühen Aurignacien ihren Niederschlag findet. Durch die geographische Lage sind für die Region in diesem Zusammenhang unterschiedliche Einflussbereiche denkbar, die sich sowohl nach Nordosten in Richtung Burgundischer Pforte oder nach Nordwesten in Richtung Pariser Becken, als auch nach Süden in Richtung Mittelmeer erstrecken können, zum gegeben Zeitpunkt allerdings nicht weiter aufzulösen sind (Teil II, Kapitel 3.2). Dies trifft gleichermaßen für das Mittelpaläolithikum zu, das sich im regionalen Vergleich weitaus einheitlicher darstellt als dies ältere Betrachtungen erkennen ließen (Teil II, Kapitel 3.1). Neben der einheitlichen Grundformproduktion via Levallois verfügen die mittelpaläolithischen Inventare der Côte Chalonnaise über eine stabile, fünf- bis sechsprozentige Komponente an bifaziellen Formen. Das regelhafte Auftreten von Keilmessern (mit Schneidenschlag) lässt derzeit eine Annäherung an die spätmittelpaläolithischen Keilmessergruppen zu, was sich durch die radiometrischen Daten der Grottes de la Verpillière I und II zudem stützen lässt. Direkte Einflussrouten, beispielsweise anhand spezifischer Rohmaterialimporteinheiten größeren Ausmaßes, sind momentan nicht nachvollziehbar. Im Mittel- wie im frühen Jungpaläolithikum bediente man sich zu über 90% lokaler und regionaler Silices. Im Unterschied zum Mittelpaläolithikum spielen die lokalen Jurahornsteine im Jungpaläolithikum quasi keine Rolle mehr. Wenige Einzelstücke aus paläogenem Süßwasserfeuerstein, vor allem in den jungpaläolithischen Inventaren, könnten das Resultat von Fernimporten aus dem 110 km nordöstlich gelegenen Etrellesbecken darstellen. Für die Fundstellen innerhalb der Côte Chalonnaise selbst allerdings konnte eine Strukturierung anhand deren topographischer Lage, beispielsweise in der Ebene, in Halbhöhenlage oder in Plateaunähe, in Verbindung mit deren Inventargröße und -zusammensetzung herausgearbeitet werden (Teil III, Kapitel 2). Daraus ergibt sich eine erste Hypothese der spezifischen Fundstellentypen und deren Funktion im paläolithischen Habitat. Anhand der vorgenannten Ergebnisse bietet die Arbeit eine solide Grundlage für weitere, auf Einzelbereiche fokussierte Forschungsansätze.

Abstract:

Summary: The research area of the Côte Chalonnaise in Burgundy, eastern France, is located west of the river Saône between Chalon-sur-Saône and Tournus, covering a surface of approximatively 400 km2, measuring around 10 km from east to west. As part of the Rhine-Saône-Rhône rift valley, successive shifting of Jurassic formations form the landscape with its characteristic cliffs, on the slopes of which wine has been cultivated for centuries. There are only a few and small valleys that interrupt this natural barrier between the Saône plain and the western hinterland. Numerous karst formations, such as caves or rock shelters, as well as an abundance of various siliceous raw materials, including flint from the residual clay-with-flint deposits and different Jurassic chert varieties, made the area attractive for human occupation during the Paleolithic (e.g., Part II, Chapter 4). A multitude of cave, rock shelter and open-air sites bear witness to the fact that these aspects did not go unnoticed by groups of hunter-gatherer groups of the Ice Age. Current evidence suggests that the most extensive use of the region during the Paleolithic period dates back to the late Middle and early Upper Paleolithic, from around 70,000 to 30,000 years before present. The region’s rich evidence of its paleolithic past soon caught the interest of local and regional scholars and amateur archeologists early on. Thus, starting with first excavations in the 1860s in Germolles (Grotte de la Verpillière I), Culles-les-Roches (Grotte de la Folatière) or Rully (Grotte de la Mère Grand), the Côte Chalonnaise can be counted among the pioneer regions of French Paleolithic research (pioneer phase). Four distinct phases of archeological activity and research during the past 150 years were identified through an extensive review of the literature and archives. On the one hand, these phases are related directly to the documented or known archeological activities themselves, but on the other hand, they can also be found in the contemporary scientific literature (Part I, Chapter 8). Until the first third of the 20th century, further activities consolidated and even expanded upon the insights of the pioneer phase (consolidation phase). The time from the 1940s to the 1970s was characterized by extensive surface prospections (and surveys), and is associated with names like Guillard or Gros (prospection phase), followed by an abrupt decline of archeologically motivated activities for the last quarter of the 20th century. It was not until the resumption of (subsequently ongoing) archeological investigation by Floss (University of Tübingen) at the turn of the millennium, that the region once again garnered research interest (Tübingen phase). In addition to the analysis of archeological primary sources, i.e., modern excavations, the reevaluation and recontextualization of the comprehensive inventories of the old collections and assemblages constitute a key research objective. In this context, the present thesis makes a significant contribution, beyond the analysis and presentation of the region’s research history. The consistent and comprehensive examination of the various assemblages, scattered in several institutions, from Chalon-sur-Saône (Musée Denon) to Autun (Musée Rolin and Museum d’Histoire Naturelle), Mâcon (Musée des Ursulines), Lyon (Musée des Confluences and the Laboratoire de Géologie) and Saint-Germain-en-Laye (Musée d’Archéologie Nationale), was carried out by the author and the Floss working group. This, together with the close contact to local collectors, enable the author to present this quantitative overview of the most important inventories of the region for the first time, including a chronological classification according to typo-technological aspects (Part I, Chapter 6). The main focus of this thesis is the detailed analysis of the identifiable Middle and Upper Paleolithic artifact components within the assemblages of the two open-air sites La Roche in Saint-Martin-sous-Montaigu and En Roche in Germolles (Part II, Chapter 1&2). The identification of on-site blank production activities, including the respective technological approaches, is based on an analysis of both metrics and artifact features. For both sites, the import of raw materials and their reduction according to distinct concepts, as well as subsequent tool production, are evident for both the Middle and Upper Paleolithic. During the Middle Paleolithic occupation, blank production is dominated by the Levallois concept, with primarily preferential or recurrent centripetal reduction. Tool production is not limited to morphologically diverse target blanks, but also comprises decortication and configuration blanks. In the Upper Paleolithic assemblages, blank production is focused on blades. With mostly straight to slightly curved profiles, their production relies primarily on unidirectional cores. These are often only marginally configured, based on initial cresting, which can be placed into an early Upper Paleolithic context. In addition, the production of end scrapers exhibits a certain degree of prior selection of bigger robust blades within the available spectrum. While a distinct lamellar industry is only marginally present in En Roche, the assemblage from La Roche contains the whole spectrum of early Upper Paleolithic bladelet cores in abundance. In addition to carinated pieces, as classic Aurignacian types, the assemblage also contains prismatic or pyramidal cores, typical of Protoaurignacian contexts. In this respect, the assemblage displays a close resemblance to that from Grotte de la Verpillière I in Germolles. Although the stratigraphical context of the pieces is unknown, based on radiometric dating from Grotte de la Verpillière I, as well as a comparison with more distant sites such as the Grotte du Renne (layer VII) or the Trou de la Mère Clochette, a multi-phase occupation of the site, starting in the earlier phases of the Aurignacian, appears probable. The region’s geographic setting allows the identification of several hypothetical areas of influence, namely the northeast, towards the Burgundian Gate, the northwest, towards the Paris basin, and the south, towards the Mediterranean coast (Part II, Chapter 3.2). The same is true for the Middle Paleolithic, which, in a regional comparison, seems much more homogeneous than previously thought (Part II, Chapter 3.1). In addition to a consistent blank production via Levallois, the Middle Paleolithic assemblages of the Côte Chalonnaise contain a steady proportion of bifacial forms (five to six percent). Furthermore, the continuous presence of Keilmesser (with trenchet blow) within the assemblages suggests an affiliation to the late Middle Paleolithic Keilmessergruppen, which is further supported by radiometric dates from the sites of Grotte de la Verpillière I and II. To date, particular routes of influence, for example through large amounts of specific imported raw materials, cannot be identified. During the Middle and Upper Paleolithic occupation, raw material supplies relied on local and regionally available sources to up to 90%. In contrast to the Middle Paleolithic, the use of local chert during the Upper Paleolithic is documented only sporadicly. A few individual pieces of paleocene freshwater flint – particularly within the Upper Paleolithic assemblages – may constitute long-distance imports from the Estrelles region, 110 km to the northeast. For the sites within the Côte Chalonnaise itself, however, it was possible to work out a differentiated structure based on their topographical position (e.g., in the plain, in mid-hight on a slope or near a plateau) in conjunction with the size and composition of the assemblages (Part III, Chapter 2). This leads to a first hypotheses of specific types of sites and their corresponding function within the Paleolithic habitat. On the basis of the foregoing results, this thesis provides a solid foundation for further research, focused on more specific aspects.

Das Dokument erscheint in: