Inhaltszusammenfassung:
Hintergrund
Im klinischen Alltag bereitet die Differentialdiagnostik zwischen den äußerlich oft ähnlichen, doch nosologisch sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern Urtikaria und Anaphylaxie oft Schwierigkeiten. Präsentieren Patienten Urtikae, bzw. Angioödeme an der Haut, besteht häufig der Verdacht einer zugrundeliegenden Sensibilisierung auf Nahrungsmittel. Nicht nur die differentialdiagnostische Abgrenzung zwischen IgE-vermittelten und nicht IgE-vermittelten urtikariellen Erkrankungen fällt schwer, es besteht darüber hinaus auch große Unsicherheit, unter welchen Voraussetzungen eine serologische Abklärung mit Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper auf Nahrungsmittelallergene zielführende Informationen liefern kann.
Zwar existieren getrennt für Anaphylaxie und Urtikaria zahlreiche diagnostische und therapeutische Handlungsempfehlungen, ihre Anwendung konzentriert sich allerdings vorrangig auf Fälle, in denen klar in die Richtung der jeweils beschriebenen Erkrankung ermittelt wird. Doch gerade der Bereich der zwischen beiden Erkrankungen schwierigen Differentialdiagnostik wird nur wenig beleuchtet. Die Leitlinien bieten dem Arzt bei der initialen Einordnung von Patienten mit Hautsymptomen und damit bei der Entscheidung hinsichtlich des weiteren diagnostischen Vorgehens nur wenig Hilfe. In dieser Arbeit wurden Patienten mit Krankheitsdiagnose Anaphylaxie und Urtikaria einander vergleichend gegenübergestellt. Dabei wurden demoskopische, anamnestische und serologische Parameter daraufhin überprüft, ob sie einen Zusammenhang zu einer der beiden Krankheitsentitäten zeigen und somit sinnvolle Prädiktoren für deren Vorliegen darstellen.
Methoden
448 Patienten mit kutaner Präsentation von Urtikae, bzw. Angioödemen hatten im Zuge der Krankheitsabklärung, unabhängig von der jeweiligen Anamnese und Klinik, eine laborchemische Bestimmung von spezifischen IgE-Antikörpern auf ausgewählte Nahrungsmittelallergene erhalten. Diese Nahrungsmittelallergene, bei denen ein besonderer Fokus auf die okkulten Nahrungsmittelallergene Omega 5-Gliadin und alpha-Gal gelegt wurde, wurden in dieser Konstellation erstmalig für ein Kollektiv mit akut oder intermittierend auftretenden Urtikae, bzw. Angioödemen bestimmt. In einer retrospektiven Aufarbeitung der elektronischen Fallakten wurden die Beschwerden detailliert erfasst und die Patienten den Krankheitsdiagnosen Urtikaria und Anaphylaxie zugeteilt. Für diese Erkrankungen erfolgte die vergleichende Untersuchung von demoskopischen, anamnestischen und laborchemischen Parametern und rückwirkend die Bewertung der diagnostischen Wertigkeit der einzelnen Parameter.
Ergebnisse
Bei Patienten mit Krankheitsdiagnose Anaphylaxie wurde eine Beteiligung mehrerer Organsysteme zur gleichen Zeit mit 74,1 % häufiger gefunden als bei Urtikaria. Für alle betrachteten extrakutanen Organsysteme Gastrointestinaltrakt, Lunge und Herz-Kreislauf-System wurden Symptome häufiger bei IgE-vermittelten Erkrankungen beschrieben. Eine genauer abgestufte Betrachtung der jeweils vorliegenden Symptome brachte nur in manchen Fällen Vorteile in der Abgrenzung der beiden Erkrankungen. In der Analyse der laborchemischen Parameter zeigten sich Erhöhungen der gesamten in der Blutbahn zirkulierenden IgE-Antikörper mit 60 % häufiger bei IgE-vermittelten Erkrankungen. Sensibilisierungen auf die okkulten Nahrungsmittelallergene Omega 5-Gliadin und alpha-Gal sowie das Bet v 1-homologe Sojaallergen Gly m 4 und das Majorallergen der Erdnuss Ara h 2 wurden ebenfalls bei Anaphylaxiepatienten häufiger nachgewiesen. Hierbei zeigten insbesondere Sensibilisierungen auf Omega 5-Gliadin und Ara h 2 einen starken Zusammenhang zu einem IgE-vermittelten Pathomechanismus. Basierend auf den Erkenntnissen, die bei der Arbeit an den elektronischen Fallakten gewonnen wurden, wurde ein Algorithmus zur erleichterten Entscheidungsfindung hinsichtlich einer serologischen Diagnostik mit Bestimmung allergenspezifischer Antikörper bei Patienten mit kutaner Präsentation von Urtikae, bzw. Angioödemen entwickelt.
Schlussfolgerung
Vor dem Hintergrund zunehmender diagnostischer Möglichkeiten in der Allergiediagnostik und eines häufig ausgeprägten Kausalitätsbedürfnisses bei Patienten mit Hautsymptomen, ist es notwendig, ein gutes Gleichgewicht zwischen Über- und Unterdiagnostik in Bezug auf zugrundeliegende Nahrungsmittelsensibilisierungen zu halten. Einerseits müssen relevante Sensibilisierungen, die potenziell lebensbedrohliche Anaphylaxiesymptome bedingen können, zuverlässig festgestellt werden. Andererseits muss es vermieden werden, bei nicht IgE-vermittelten Pathomechanismen durch den Nachweis klinisch nicht relevanter Sensibilisierungen unnötige Karenzdiäten zu verursachen. Entscheidend ist hierbei insbesondere der diagnostische Weg vor Bestimmung serologischer Parameter. Anhand demoskopischer und klinischer Parameter, abhängig vom Verlauf der Symptomatik, individueller Ernährungs- und Lebensgewohnheiten sowie der Relevanz einzelner Allergene in der jeweiligen geographischen Region, muss individuell entschieden werden, welcher Patient von einer serologischen Abklärung profitieren kann.