Inhaltszusammenfassung:
Viele Studien haben gezeigt, dass der Schlaf die Bildung von deklarativem Gedächtnis fördert. Dieser Prozess der Gedächtnisbildung kann spontan erfolgen oder durch externe Reize induziert werden. Die spontane Gedächtnisreaktivierung ist dabei von einem niedrigen Acetylcholinspiegel während des Tiefschlafs abhängig. Die vorliegende Studie hat die Arbeitshypothese, dass die durch einen olfaktorischen Reiz induzierte Gedächtnisreaktivierung auf ähnlichen Mechanismen beruht wie die spontane Gedächtnisreaktivierung. Das bedeutet, dass es zuerst zu einer Reaktivierung der erlernten deklarativen Gedächtnisinhalte im Hippocampus und im Anschluss zum Informationsfluss vom Hippocampus zum Neocortex kommt. Dieser Annahme zufolge ist die reizinduzierte Reaktivierung ebenso von einem niedrigen Acetylcholinspiegel abhängig wie die spontane Gedächtnisreaktivierung.
Um diese Annahme zu bestätigen, wurde ein Probandenkollektiv aus 29 jungen gesunden Männern doppelblind randomisiert in die Gruppen Physostigmin und Placebo eingeteilt. Alle Probanden bearbeiteten einen Gedächtnistest, bei dem sie sich im zweidimensionalen Raum die Lokalisation von Kartenpaaren merken mussten. Zeitgleich erhielten sie einen definierten Geruch über eine Nasenmaske. Während des folgenden ca. 40 min andauernden Schlafes bekamen die Probanden je nach Gruppenzugehörigkeit das Medikament Physostigmin, ein indirekt parasymphathomimetisch wirkender Acetylcholinesterase-Hemmer welcher die synaptische Verfügbarkeit von Acetylcholin erhöht, oder das Placebo NaCl 0,9 % über eine Infusionspumpe infundiert. Im Tiefschlaf angekommen, wurde den Probanden je nach Bedingung der lernassoziierte Geruch oder der neutrale Trägerstoff präsentiert. Nach einer ca. 20-minütigen Geruchsstimulation wurde diese beendet, die Infusionspumpe gestoppt und der Proband geweckt. Im Anschluss an den darauffolgenden 90-minütigen Film erfolgte die Interferenz-Aufgabe um die Stabilität des Gedächtnisses in Bezug auf die ursprüngliche Gedächtnisaufgabe zu überprüfen. Zuletzt durchliefen alle Probanden den Abruf, bei dem die Gedächtnisleistung der ursprünglichen Gedächtnisaufgabe überprüft wurde. Zu festgelegten Zeitpunkten erfolgten während der kompletten Zeit regelmäßige Überprüfungen der Vitalparameter, des Cortisolspiegels im Blut sowie Tests um die Aufmerksamkeit, die Wachheit, die subjektive Müdigkeit, mögliche
unerwünschte Medikamentenwirkungen oder -nebenwirkungen zu erfassen.
Wider Erwarten zeigte sich, dass die Leistungen der Probanden im Abruf keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen Physostigmin und Placebo erbrachten. Jedoch gab es signifikante Unterschiede zwischen den Bedingungen Geruch und Trägerstoff. Aus der Tatsache, dass es im Gegensatz zu der Arbeitshypothese zu keinem Nachteil bezüglich der Gedächtnisleistung durch die Physostigmin-Gabe kam, folgt das Resultat: Das erhöhte Acetylcholinlevel bei einer olfaktorisch induzierten externen Gedächtnisreaktivierung hat keinen Einfluss auf die Gedächtnisleistung. Während des Schlafes konnte anhand des EEGs gezeigt werden, dass es sich bei der verwendeten Physostigminkonzentration um eine Dosierung handelt, die den erwünschten Effekt auf die Schlafarchitektur zeigt. Alle weiteren Tests und die Überwachung der Vitalparameter brachten keine nennenswerten Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen und Bedingungen. Das Widerlegen der Arbeitshypothese zeigt, dass die extern getriggerte Gedächtnisreaktivierung durch einen olfaktorischen Reiz nicht auf denselben Mechanismen beruhen kann wie die spontane Gedächtnisreaktivierung. Möglicherweise kommt es bei der reizinduzierten Gedächtnisreaktivierung nicht zum Transfer von Informationen vom Hippocampus in den Neocortex, sondern die Gedächtniskonsolidierung findet nur in einem der beiden Hirnbereiche statt – entweder im Hippocampus oder im Neocortex. Eine weitere Möglichkeit ist, dass beide Hirnbereiche an der reizinduzierten Gedächtnisaktivierung beteiligt sind, jedoch völlig unabhängig voneinander agieren. Um dies zu präzisieren sind weitere Studien mit einem größeren Probandenkollektiv nötig. Hierbei sollten auch weitere bildgebende Verfahren eingesetzt werden um die genaue Gehirnaktivität zu den verschiedenen Zeitpunkten zu zeigen. Weiterhin sind Auswertungen bezüglich verschiedener Dosierungen des Acetylcholinesterase-Hemmers Physostigmin und unterschiedlicher Schlafzeiten nötig.