Inhaltszusammenfassung:
Die frühzeitige Identifikation, Selektion und Entwicklung talentierter Spieler stellen im Rahmen der Nachwuchsförderung wichtige und gleichsam schwere Aufgaben dar. Besonders in weitverbreiteten Sportarten wie dem Fußball müssen Trainer aus einer großen Anzahl an Nachwuchsspielern diejenigen auswählen und fördern, denen das größte Potential zugeschrieben wird, zukünftig einen der wenigen begehrten Plätze im Spitzenbereich einnehmen zu können. Die Auswahl solcher Talente erfolgt dabei meist auf Grundlage von subjektiven Urteilen der Trainer. Eine Herausforderung der Talentforschung ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern diese subjektiven Urteile im Rahmen der Talentselektion durch objektive Informationen unterstützt werden können. Innerhalb von Talentförderprogrammen großer Fußballnationen werden seit einiger Zeit objektive Diagnostiken durchgeführt. So wird etwa im Rahmen des DFB-Talentförderprogramms seit 2004 halbjährlich an den Stützpunkten deutschlandweit eine technomotorische Leistungsdiagnostik durchgeführt, die für das Anforderungsprofil eines Fußballers wichtige Schnelligkeitsfähigkeiten (z.B. Sprintfähigkeit) und technische Fertigkeiten (z.B. Ballkontrolle) erfasst.
In der sportwissenschaftlichen Talentforschung wird gerade für schnelligkeits- und technikbezogene Talentprädiktoren oftmals untersucht, welche prognostische Relevanz diese für das zukünftige Leistungsniveau der Spieler besitzen. Auch wenn in aktuell erschienenen Übersichtsarbeiten die Bedeutung von Schnelligkeitsfähigkeiten und technischen Fertigkeiten für zukünftigen Erfolg weitestgehend bestätigt werden kann, weist die Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes auch auf Forschungsdefizite hin. Bislang liegen nur wenige Studien vor, die sich mit dem Erfolg eines Talents im Erwachsenenalter beschäftigen. Weiterhin erfolgt die Analyse der prognostischen Relevanz meist auf der Basis von Einzeldiagnostiken (z.B. 20m Sprint). Da einzelne Tests nur einen kleinen Teil der dahinterstehenden übergeordneten Konstrukte (z.B. Schnelligkeit) abbilden können, ist aus sportwissenschaftlicher Sicht auch die prognostische Relevanz dieser latenten Größen zu untersuchen. Trotz einer dynamischen Konzeption des Talentbegriffs werden Studien zudem meist statisch (d.h., mit einmaliger Merkmalserhebung) durchgeführt. Daher fehlt es an Studien, die durch eine mehrmalige Erhebung der Talentprädiktoren im Jugendalter die dynamische Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit und deren Bedeutung für zukünftigen Erfolg längsschnittlich analysieren. Außerdem besteht ein großer Bedarf an Studien mit weiblichen Nachwuchstalenten. Die vorliegende Dissertationsschrift verfolgt die Absicht, gezielt diese Forschungslücken anhand von vier empirischen Studien zur prognostischen Relevanz der im DFB-Talentförderprogramm erhobenen schnelligkeits- und technikbezogenen Merkmale (20m Sprint, Gewandtheit, Dribbling, Ballkontrolle, Torschuss) anzusteuern und legt dabei besonderes Augenmerk auf die adäquate Auswahl statistischer Auswertungsverfahren zur Datenanalyse.
Während bisherige Studien meist die Bedeutung juveniler Talentprädiktoren für den Erfolg im mittleren oder späten Jugendalter analysieren, wird in Studie 1 der zukünftige Erfolg im Erwachsenenalter betrachtet. Dabei wird in einem langen Prognosezeitraum von gut acht Jahren untersucht, inwiefern die bei Stützpunktspielern gemessenen motorischen Leistungen in der U12 eine Aussagekraft für das zukünftige Leistungsniveau im Herrenbereich (professionell, semi-professionell, Amateur) besitzen. Neben der Tatsache, dass sich alle Einzeltests als relevant für den späteren Erfolg erweisen, bestätigt die Verwendung latenter Strukturgleichungsmodelle die prognostische Bedeutung für die (den Einzeltests übergeordneten) theoretischen Konstrukte Schnelligkeit und Technik.
Dem dynamischen Verständnis des Talentbegriffs folgend, berücksichtigt Studie 2 die mehrmalige Erhebung der Talentprädiktoren im Jugendalter, um Veränderungen der motorischen Leistungsfähigkeit und deren Bedeutung für den zukünftigen Erfolg analysieren zu können. Konkret soll dabei die motorische Entwicklung von Nachwuchsspielern im Laufe ihrer Förderung am Stützpunkt von der U12 bis hin zur U15 untersucht und zudem geprüft werden, inwieweit diese selbst als eigenständiger Talentprädiktor für das Leistungsniveau im Erwachsenenalter (Spitzenbereich, Amateur) dienen kann. Die für längsschnittliche Datenanalyse empfohlenen Mehrebenenregressionsmodelle ergeben, dass sich die motorische Entwicklung in diesem Zeitraum nicht-linear vollzieht. In Bezug auf die Prognoserelevanz stellt sich heraus, dass zwar zukünftig erfolgreiche Spieler insgesamt besser in den Tests abschneiden als weniger erfolgreiche, sich im Zeitverlauf die beiden Gruppen jedoch in gleichem Maße verbessern. Für den in dieser Studie untersuchten Spezialfall von Talenten, die das Stützpunktprogramm von der U12 bis zur U15 vollständig durchlaufen haben, kann gezeigt werden, dass die motorische Entwicklung selbst gruppenbezogen keinen eigenständigen Talentprädiktor darstellt.
Dem Mangel an Studien mit weiblichen Nachwuchsathleten wird in den Studien 3 und 4 Rechnung getragen. Da nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass Befunde, die bereits für den männlichen Nachwuchsbereich vorliegen, auf den weiblichen Bereich übertragen werden können, werden in diesen Studien die motorischen Leistungen von Spielerinnen an den Stützpunkten des DFB-Talentförderprogramms auf ihre prognostische Relevanz untersucht. Dabei können die Ergebnisse aus dem Jungenbereich für die Spielerinnen am Stützpunkt weitestgehend repliziert werden. Die motorischen Talentprädiktoren weisen auch im weiblichen Bereich eine prognostische Relevanz für den zukünftigen Erfolg auf. Bei den Mädchen stellt sich im Vergleich mit den Jungen insbesondere das Dribbling als relevantes Merkmal heraus, um zwischen zukünftig erfolgreichen und weniger erfolgreichen Spielerinnen zu trennen (Studie 3). Zudem unterscheiden sich diese beiden Gruppen – ähnlich wie bei den männlichen Stützpunktspielern – in ihrer motorischen Leistungsfähigkeit in Bezug auf das Ausgangsniveau, nicht aber hinsichtlich ihrer Entwicklung (Studie 4).
Zusammenfassend erweitern die im Rahmen der Dissertation gewonnenen Erkenntnisse für die gezielt angesteuerten Forschungslücken den aktuellen Forschungsstand zur prognostischen Bedeutung motorischer Talentprädiktoren für zukünftigen Erfolg. Die Relevanz der im DFB-Talentförderprogramm erhobenen technomotorischen Merkmale impliziert, dass diese von Trainern sowohl in der Trainingspraxis wie auch als Zusatzinformation bei der Talentselektion herangezogen werden können. Aufgrund des vielfältigen Anforderungsprofils für einen Spieler im Fußball und der Komplexität der Entwicklung im Jugendalter ist jedoch generell die Aussagekraft motorischer Merkmale zu klein, um sie als alleiniges Tool zur Talentselektion zu nutzen. Die diskutierten methodischen Perspektiven bieten zudem einen Anhaltspunkt für zukünftige prospektive Talentstudien.