Inhaltszusammenfassung:
Zufriedenstellende zwischenmenschliche Beziehungen und Begegnungen sind den meisten Menschen ein wesentliches Bedürfnis. Patienten, die an affektiven Störungen leiden, erleben jedoch zusätzlich zu belastenden Symptomen wie niedergeschlagener Stimmung und Antriebslosigkeit auch Konflikte mit ihrer Familie, dem sozialen und beruflichen Umfeld, bis hin zur sozialen Isolation. Die Frage nach der Ursache der Beeinträchtigung des sozialen Funktionierens von Patienten mit affektiven Störungen bleibt bislang ungeklärt. Als mögliche Erklärung wird eine verminderte Empathiefähigkeit diskutiert.
Empathie ermöglicht es uns, uns in ein Gegenüber hineinzuversetzen, dessen Stimmung und Emotionen nachzufühlen und seine Absichten, Ziele und Beweggründe zu verstehen. Im alltäglichen Miteinander ist Empathie eine unverzichtbare und allgegenwärtige Fähigkeit. Die Datenlage zur Empathiefähigkeit von Patienten mit affektiven Störungen ist uneinheitlich. Es gibt sowohl Befunde die für eine verringerte Empathie sprechen, als auch Studien die Hinweise darauf geben, dass Erkrankte besonders empathisch sind. Dies könnte an den sehr heterogenen Stichproben liegen. Patienten mit akuter oder remittierter affektiver Störung, mit unipolarer oder bipolarer Depression werden mitunter nicht getrennt untersucht. Zudem findet die aktuelle Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung zu wenig Beachtung. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen diese Punkte differenziert untersucht werden.
Wie lässt sich jedoch eine so grundlegende und wichtige Fähigkeit wie Empathie erfassen und messen? In der bisherigen Forschung wird hierbei häufig auf Fragebögen zur Selbsteinschätzung gesetzt. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Ansatz um die Möglichkeit zur Fremdeinschätzung durch Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Person ergänzt. Zudem erfolgen direkte Messungen der Erkennung von Emotionen sowie der Fähigkeit, über Emotionen, Absichten und Wünsche nachzudenken.
Methoden: Wie lässt sich ein mögliches Defizit der Empathiefähigkeiten messen? Können soziale Schwierigkeiten unipolar depressiver oder bipolarer Patienten mit einem Defizit der Empathiefähigkeiten erklärt werden? Zur Klärung dieser zentralen Fragen werden zwei empirische Untersuchungen durchgeführt: Im Rahmen der Fragebogenvalidierung wird an einer gesunden studentischen Stichprobe eine verbesserte deutsche Übersetzung des Empathy Quotient sowie eine Umformulierung desselben in ein Fremdbeurteilungsmaß validiert. Eine Experimentalstudie untersucht Patienten mit akuter oder remittierter unipolarer Depression, Patienten mit bipolarer Störung in Vollremission sowie gesunde Kontrollen bezüglich ihrer Empathiefähigkeiten, gemessen mit den beiden Versionen des Empathy Quotient sowie behavioralen Tests zur Emotionserkennungsfähigkeit (Cambridge Mindreading Face-Voice Battery) und zur Fähigkeit, Schlussfolgerungen über mentale Zustände eines anderen Menschen zu treffen (Movie for the Assessment of Social Cognition). Zudem erfolgt eine experimentelle Manipulation der aktuellen Stimmung durch Musik.
Ergebnisse: Die Fragebogenvalidierung mit 140 gesunden studentischen Probanden zeigt, dass sowohl die Übersetzung des Empathy Quotient sowie die Fremdbeurteilungsversion als valide angesehen werden können. Beide Versionen verfügen über hohe interne Konsistenzen und weisen Faktorstrukturen auf, die der des englischen Originals weitgehend entsprechen. Sowohl Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität als auch Konstruktvalidität können als gegeben angenommen werden.
Im Rahmen der Experimentalstudie mit insgesamt 203 Teilnehmern finden sich Hinweise auf die erwarteten Defizite der Patientengruppen bezüglich des sozialen Funktionierens. Bezüglich der Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie und der behavioralen Messung der Empathie können jedoch -- anders als erwartet -- keine Unterschiede zwischen Patienten mit affektiven Störungen und gesunden Kontrollen gefunden werden. Obwohl die Induktion negativer Stimmung erfolgreich gewesen zu sein scheint, findet sich kein Hinweis auf einen Einfluss der aktuellen Stimmung auf die Emotionserkennung oder auf die Fähigkeit Schlussfolgerungen über mentale Zustände anderer Personen zu ziehen.
Diskussion: Die Begrenzungen der Studie -- wie eventuelle Stichprobenverzerrungen, zur Erfassung möglicher subtiler Defizite möglicherweise nicht geeignete Messmethoden sowie unklare Definitionen der untersuchten Konzepte -- sollten bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet werden. Auf der Grundlage der vorliegenden empirischen Daten ist jedoch nicht davon auszugehen, dass soziale Schwierigkeiten von Patienten mit affektiven Störungen durch ein Defizit der Empathiefähigkeiten erklärt werden können. Die deutsche Übersetzung und Umformulierung des Empathy Quotient kann hingegen als geeigneter Fragebogen zur Selbst- oder Fremdeinschätzung der Empathie angesehen werden.
Abstract:
Satisfying interpersonal relationships and encounters are a fundamental need of most humans. Patients suffering from affective disorders experience not only burdening symptoms like subdued mood or lethargy. They are also facing interpersonal problems within their family, their social and professional environment and even social isolation. The reason for this decrease in social functioning remains unexplained. Empathy deficits are discussed as one possible explanation.
Empathy allows us to put oneself in the position of other people, to understand their mood and feelings as well as their goals and motivations. Empathy is an essential and ubiquitous skill in our everyday social interactions. Regarding empathy in patients with affective disorders the data are uncertain. Some experimental results suggest decreased empathy, whereas other studies indicate enhanced empathy in patients. This might be due to the fact that very heterogenous samples were examined. Patients with current episodes and in partial or complete remission, with unipolar and bipolar depression are investigated jointly. Furthermore the present mood at the time of the investigation is often ignored. In this work, a differentiated consideration of these issues is taken into account.
How can such a fundamental and important ability like empathy be captured and measured? Previous research has primarily been based on questionnaires and self-assessment. In the present work, this approach is expanded by external assessment by people from the personal environment of the participant. Further, direct measurement of recognition of emotions as well as reasoning about emotions, intentions and wishes in behavioural data are considered.
Methods: How can a possible deficit in empathy be captured? Can patients' social difficulties be explained by a deficit in empathy? To clarify these two central questions, two empirical studies are implemented: A validation study examines an enhanced German translation of the Empathy Quotient as well as a reformulated external assessment version in a student population. In an experimental study, patients with unipolar and bipolar depression in current episode or complete remission as well as healthy controls are tested with both versions of the Empathy Quotient as well as with behavioural tests for emotion recognition (Cambridge Mindreading Face-Voice Battery) and for reasoning about mental states of other people (Movie for the Assessment of Social Cognition). Furthermore the present mood is manipulated experimentally by music.
Results: The validation study with 140 healthy student participant shows that the German translation as well as the reworded external assessment version of the Empathy Quotient can be considered valid. Both versions seem to have high internal consistencies and factorial structures that comply with the English original. Implementation, evaluation and interpretation objectivity as well as construct validity are assumed as given.
The experimental study with a total of 203 participants provides evidence for the expected social difficulties in patients. Concerning self or external assessment of empathy and behavioural measurement of empathy -- differently than expected -- no discrepancies between patients and healthy controls were found. The induction of negative mood seems to be effective. Nevertheless the negative mood seems to have no effect on emotion recognition or reasoning about mental states of other people.\\
Discussion: The limitations of this study -- for example potential sampling biases, possibly inappropriate measurement methods for the detection of deficits, that may be subtle, or ambiguous definitions of the investigated concepts -- should be considered when interpreting the data. However, based on the empiric data at hand, it can not be assumed that patients' social difficulties can be explained by a deficit in empathy. On the other hand, the German translation and reformulation of the Empathy Quotient can be considered as an applicable questionnaire for self-report or external assessment of empathy.