Inhaltszusammenfassung:
Emotionale Gesichtsausdrücke sind ein sehr wichtiger Informationskanal um Gefühle und Stimmungen der Umwelt mitzuteilen, sowohl bewusst als auch unbewusst. Aufgrund dieser Tatsache bilden Studien, die sich mit der Gesichtserkennung und –interpretation auseinandersetzen, die Basis zur Erforschung der neuronalen Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen.
Der Mensch hat jedoch, neben den verschiedenen Gesichtsausdrücken, noch zahlreiche andere Möglichkeiten, seine momentane Stimmung auszudrücken, wie beispielsweise Gestik, Körperhaltung, Bewegungen oder die Art zu gehen. Der dynamische Ausdruck einer Gefühlslage in Bewegungen oder im Gang eines Menschen ist bislang kaum erforscht.
Das Ziel dieser Studie war es daher, mithilfe emotionaler dynamischer Gangsequenzen deren genaue neuronale Verarbeitung bei verschiedenen klinischen Gruppen zu untersuchen und zu vergleichen.
Die vorliegende Studie ist dabei Teil einer groß angelegten Studie zu besagter Thematik.
Bei den klinischen Gruppen handelt es sich in diesem Part der Studie um Patienten mit einer Panikstörung und Patienten mit einer sozialen Phobie. Zusätzlich nahm eine gesunde Kontrollgruppe an den Versuchen teil. Die Teilnehmer wurden im Vorfeld verschiedenen diagnostischen Maßnahmen unterzogen, um Fehldiagnosen oder zusätzliche psychische Erkrankungen, die die Messergebnisse verfälschen könnten, auszuschließen.
Auf Grund vorhergegangener Forschung ist davon auszugehen, dass die Perzeption und Interpretation emotionaler Gangsequenzen für gewöhnlich eine verstärkte Aktivierung in temporo-parietalen und temporo-okzipitalen Kortexarealen, die im Verlauf der Arbeit näher erläutert werden, auslösen sollten.
Aus dieser Hypothese ergibt sich die Frage, inwiefern dies auch bei Patienten mit einer Panikstörung oder sozialen Phobie der Fall ist, oder ob sich hier veränderte Aktivierungsmuster feststellen lassen.
Zur Darstellung der Aktivierungsmuster wurde die Nah-Infrarot Spektroskopie (NIRS) herangezogen, ein nebenwirkungsfreies bildgebendes Verfahren, das durch Messungen der Oxygenierungsänderungen verschiedener Kortexareale deren Aktivierung lokalisiert.
Im Vorfeld beantworteten die Probanden eine auf die jeweilige psychische Erkrankung abgestimmte Auswahl an Fragebögen zum allgemeinen bzw. momentanen Gemütszustand.
Der komplette Versuchsablauf umfasste ohne Pausen ungefähr 45 Minuten. Die Teilnehmer wurden dabei gebeten, Avatare, die sich in verschiedenen emotionalen Gangarten über einen Computerbildschirm bewegten, hinsichtlich ihrer ausgedrückten Emotion und Geschwindigkeit mittels Tastendruck zu bewerten. Die verwendeten Avatare basierten auf der digitalen Bearbeitung von mit Schauspielern aufgenommenen Gangsequenzen. Auf diese Weise konnte man weder Gesichtszüge noch Körperformen oder Geschlecht und Alter erkennen, was dazu diente, die Teilnehmer nicht von der emotionalen Gangart abzulenken.
Die gemessenen Aktivierungsmuster der Probanden wurden anschließend mittels Varianzanalysen ausgewertet und einerseits bezüglich der dargestellten Emotion innerhalb der Gruppen, andererseits zwischen den Patientengruppen und der gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Ergebnisse der neuronalen Aktivierung wurden den im Rahmen der Messungen erhobenen Verhaltensdaten wie Reaktionsgenauigkeit und -geschwindigkeit der Probanden sowie den Ergebnissen der ausgewerteten Fragebögen gegenüber gestellt. Bestehende Korrelationen zwischen den einzelnen Kategorien wurden errechnet.
Die Auswertung der NIRS-Daten ergab wesentliche Unterschiede bezüglich der kortikalen Aktivität der Gruppen als Reaktion auf verschiedene Emotionen, die sich besonders in der Zielregion des rechten superioren temporalen Sulkus (STS) und der rechten sowie linken „extrastriate body area“ (EBA) in Form von signifikanten Variationen hinsichtlich der Aktivierungsintensität feststellen ließen. So konnte bezüglich der Aktivierung des rechten STS eine signifikante Interaktion der Emotionskategorie x Gruppe festgestellt werden, wobei die Kontrollgruppe im Vergleich zur Gruppe der Sozialphobie-Patienten mit einer erhöhten Aktivität auf die Emotionen „traurig“ und „wütend“ reagierte. Die Sozialphobie-Patienten reagierten im selben Vergleich auf die Emotion „fröhlich“ mit einer erhöhten Aktivität. Die Auswertung der Aktivierungsdaten der rechten EBA ergab eine signifikante Interaktion der Emotionskategorie x Gruppe, wobei die Kontrollgruppe im Vergleich zu beiden Angstpatienten-Gruppen verstärkt auf die Emotion „ängstlich“, und mit deutlich weniger Aktivität auf die Emotion „neutral“ reagierte. Hinsichtlich der Aktivierung der linken EBA ergaben die NIRS-Daten ebenfalls eine signifikante Interaktion der Emotionskategorie x Gruppe: Die Emotion „ängstlich“ löste bei der Kontrollgruppe eine vergleichsweise höhere Aktivität aus als bei den beiden Angstpatienten-Gruppen.
In Korrelation mit den Ergebnissen der Fragebögen, die die Angstpatienten unter anderem über Regulierungs-, beziehungsweise Vermeidungsstrategien hinsichtlich angstauslösender Situationen befragten, lassen diese Ergebnisse auf Regulierungsstrategien der Angstpatienten schließen, die auch auf negative emotionale Stimuli unterbewusst angewandt werden und eine heftige emotionale Reaktion unterdrücken. Die allgemein erhöhte kortikale Aktivität der gesunden Kontrollgruppe im Vergleich mit den Gruppen der Angstpatienten als Reaktion auf negative Emotionen könnte darauf hindeuten, dass in dem Fall einer verminderten Aktivität eine gewisse psychische Pathologie zugrunde liegt.
Auch die Reaktionsgenauigkeit der Probanden war abhängig von der Emotionskategorie. Negative Emotionen wurden allgemein besser, positive oder neutrale schlechter erkannt, was Rückschlüsse auf die Evolutionsbiologie nahelegt. So konnte einst das rechtzeitige Erkennen beispielsweise wütender Gangarten im menschlichen Miteinander überlebenswichtig sein.
Im Rahmen der Studie konnten neue Erkenntnisse über eine mit Angststörungen assoziierte pathologische Neurophysiologie hinsichtlich der Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen gewonnen werden.
Sie ebnet den Weg für weitere NIRS-basierte Forschung auf diesem Gebiet, wie beispielsweise einen erweiterten Fokus auf andere psychische Erkrankungen, die mit einer Störung der Wahrnehmung einhergehen.