Inhaltszusammenfassung:
Obwohl eine Beforschung des Neonatizids auch im Hinblick auf grundlegende Aspekte, wie beispielsweise Fallaufkommen oder Deliktphänomenologie, lohnend scheint, ist die Idee zu vorliegender Untersuchung in erster Linie aus einem kriminalistischen Interesse aus der Ermittlungspraxis entstanden: Anlässlich einer ungeklärten Neugeborenentötung im Mai 2005 erkundigte sich das Polizeipräsidium (PP) Krefeld beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) nach wissenschaftlichen oder polizeilichen Erkennt-nissen über die Verteilung von Tat- und Täterinnenmerkmalen beim Neonatizid, um dadurch die Auswahl und Durch-führung der Ermittlungsmaßnahmen in diesem aktuellen Fall zu optimieren. Dabei ging es insbesondere um die Priorisierung von Auswahlkriterien für DNA-Reihenuntersuchungen. Eine Sichtung des nationalen und internationalen Forschungsstandes brachte nur wenige kriminalistisch verwertbare Erkenntnisse hervor. Aus diesem Grund konzipierten das Sachgebiet „Operative Fallanalyse“ (OFA) und die „Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle“ (KKF) des LKA NRW eine Auswertung von einschlägigen Fallakten. Im vorliegenden Bericht werden keine Aussagen zur Nützlichkeit des neuen Gesetzes zur vertraulichen Geburt (Abschnitt 6, §§ 25-34 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)), zu Babyklappen, anonymen Geburten oder Übergaben (siehe hierzu allgemein Deutscher Ethikrat 2009, Coutinho/Krell 2012) oder vergleichbaren Angeboten getroffen. Derartigen Maßnahmen wird gelegentlich eine präventive Wirkung in Bezug auf den Neonatizid unterstellt (hierzu siehe beispielsweise Küch 2011 und kritisch Rohde 2007); eine empirische Prüfung dieser Annahme ist allgeimein als schwer möglich zu beurteilen (vgl. Klier et al. 2012) und war nicht Gegenstand der vorliegenden Studie.
Vielmehr sollen die Ergebnisse der Studie den ermittelnden Polizeibeamtinnen und -beamten in zukünftigen Fällen von Neonatizid ein vertieftes Wissen zur Deliktphänomenologie zur Verfügung stellen. Zudem kann existierenden Mythen (beispielsweise in Bezug auf ein überwiegend jugendliches Alter, erstgebärende Kindsmütter) um das Deliktsfeld Neonatizid (vgl. beispielsweise Krüger 2009, Höynck/Zähringer/ Behnsen 2012) der Nährboden entzogen werden. Neben der Optimierung der Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen sollen dadurch auch die beteiligten Vernehmungsbeamtinnen und -beamten in die Lage versetzt werden, ihr Gegenüber (i. d. R. die Kindsmütter) besser einschätzen und damit zielgerichteter befragen zu können.