Inhaltszusammenfassung:
Dem Verständnis physiologischer und pathologischer Alterungsprozesse und ihrer Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten kommt in Zeiten des demografi-schen Wandels eine wachsende Bedeutung zu. Um hierzu beizutragen, wurden an einer Stichprobe von 50 gesunden Probanden zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr Sehleistungen sowie kognitive und metakognitive Wahrnehmungsfähigkeiten in Abhängigkeit selektiver Aufmerksamkeit untersucht.
Unter kontrollierter, stationärer Fixation wurden zwei psychophysische Tests durchgeführt. Aufgabe der Probanden war es in beiden Tests, die Richtung eines von zwei Bewegungsreizen zu diskriminieren, welche simultan in der Gesichtsfeldperipherie präsentiert wurden. Nur einer der beiden Reize war relevant, der andere sollte ignoriert werden. Selektive Aufmerksamkeit wurde durch Hinweisreize geführt, welche in 80 % der Durchgänge den Diskriminationsreiz valide angekündigten (valide Aufmerksamkeitsbedingung). In 20 % der Durchgänge wurde am Ende eine Bewertung des zu ignorierenden Stimulus erfragt (invalide Aufmerksamkeitsbedingung). Selektive Aufmerksamkeit wurde entweder räumlich geführt (linkes oder rechtes Halbfeld, Experiment 1) oder auf ein bestimmtes Merkmal gerichtet (rote oder grüne Bewegungsreize, Experiment 2). Neben der Analyse der Diskriminationsleistungen wurden im ersten Experiment zwei weitere Wahrnehmungsdomänen erfasst. Erstens wurde die perzeptuelle Entscheidungssicherheit bestimmt, als ein Maß dafür, wie sicher sich der Proband der Richtigkeit seiner Wahrnehmungsleistung war. Diese Sicherheit wurde experimentell durch Erfragen eines virtuellen Wetteinsatzes in die Dis-kriminationsleistung operationalisiert. Zweitens wurde auf dem Boden der Sig-nalentdeckungstheorie errechnet, wie gut objektive Wahrnehmungsleistung und subjektive Eigeneinschätzung tatsächlich übereinstimmten, ein Maß, das in der Literatur als metakognitive Sensitivität angesprochen wird.
Im Ergebnis zeigte sich in beiden Tests, dass die Fähigkeit visuelle Bewegung inmitten von Störsignalen zu extrahieren mit dem Alter abnimmt. Dieses Defizit hing nicht von der Zeit ab, die nach Reizpräsentation zur Analyse zur Verfügung stand, und hatte kein Korrelat in Veränderungen der Fixationsleistung. Parallel zum Diskriminationsdefizit nahmen in Experiment 1 die Sicherheit in die eigene Wahrnehmungsleistung und auch die Validität, mit welcher die Eigeneinschätzung mit der objektiven Leistung übereinstimmte, im Alter ab. Im Gegensatz dazu waren die Effekte räumlicher und merkmalsbasierter Aufmerksamkeit über alle Altersgruppen hinweg sehr stabil. Auch in der höchsten Altersgruppe waren die Probanden sehr gut in der Lage, ihre Aufmerksamkeit selektiv auszurichten und dadurch ihre Diskriminationsleistungen zu verbessern.
Zusammenfassend nimmt die visuelle Bewegungsdiskrimination im Alter ab, ebenso die Fähigkeit, die eigene Diskriminationsleistung valide einzuschätzen. Selektive visuelle Aufmerksamkeit bleibt hingegen bis zum 70. Lebensjahr erhalten und stellt einen essentiellen Kompensationsmechanismus dar, die Wahrnehmungsleistungen aufrechtzuerhalten.