Die Troas in osmanisch-türkischer Zeit

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Zitierfähiger Link (URI): http://hdl.handle.net/10900/73604
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-736043
http://dx.doi.org/10.15496/publikation-15012
Dokumentart: Teil eines Buches
Erscheinungsdatum: 2014
Sprache: Deutsch
Fakultät: 5 Philosophische Fakultät
5 Philosophische Fakultät
Fachbereich: Ur- und Frühgeschichte
DDC-Klassifikation: 900 - Geschichte
910 - Geografie, Reisen
Schlagworte: Geschichte , Geografie , Troja , Troas , Türkei
Freie Schlagwörter:
history
geography
Troy
Troad
Turkey
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Die Waldbergländer, Hügelzonen und Talschaften Westanatoliens sind durchsetzt mit Ruinen und Resten aufgelassener ländlicher Siedlungsplätze aus mehr als zwei Jahrtausenden. Das gilt auch für die Troas. Sie liefern als stumme, verlassene Zeitzeugen wertvolle Hinweise auf ein Jahrhunderte langes Ringen breiter bäuerlicher und nomadischer Bevölkerungsschichten um marginale Existenz und bescheidene Sozialbedingungen. Für die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart sind die Hintergründe des Siedlungssterbens zumeist unmittelbar zu beobachten und leicht zu erkennen oder zu erfragen und daher verständlich: Die heute oft immer noch übliche traditionelle kleinbäuerliche Wirtschaftsweise in vielen türkischen Waldbergländern mit Kleinviehhaltung unter Nutzung der Waldweide und ergänzendem Ackerbau auf klein parzellierten, begrenzten Rodungsinseln bietet kaum mehr Möglichkeiten als die einer marginalen Subsistenz, auf die man mit Abwanderung reagiert. So ist die Situation heute auch in Teilen der Troas. Warum aber kam es in früherer Zeit mehrmals zu auffälliger Siedlungsverdichtung einerseits, andererseits aber auch mehrmals zu erneuter Siedlungsaufgabe? Was wir als Hintergründe für immer wieder auftretende Siedlungsverdichtungen glaubhaft machen können, sind • einerseits gezielte Ansiedlungsmaßnahmen des Staates zur innenpolitischen Stabilisierung und Mehrung des Steueraufkommens nach Schwächephasen der Regierenden, • andererseits spontane private Landnahme- und Ausbauprozesse einer stark wachsenden ländlichen Bevölkerung vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich florierenden und politisch stabilen Staatsmacht. Was aber waren die Gründe für eine offensichtlich gravierende mehrfache Siedlungsaufgabe? Wir kennen derartige Prozesse auch aus dem mittelalterlichen Europa, wo Kriege, Seuchen, Klimaveränderungen, inflationäre Wirtschaftsentwicklungen1, zunehmende Landverknappung (z. B. durch Realerbteilung) und Landwirtschaft auf marginalem Kulturland die Bauern zur Aufgabe zwangen. Die Gründe waren in Anatolien – in unterschiedlichen Regionen zu verschiedenen Zeiten – weitgehend die gleichen. So erkennen wir in der Troas, wie auch in anderen westanatolischen Bergländern, fünf auffällige Wüstungsphasen seit byzantinischer Zeit: • im Zuge der Auseinandersetzungen beim Wechsel der »christlichen« zur »islamischen« Herrschaft begleitet von klimatischen Veränderungen und Nomadisierungsprozessen, • während der Schwächeperiode desOsmanenreichesmit innerenUnruhen seit dem 17. Jahrhundert und erneutenNomadisierungsvorgängen, − imLaufe der Pestphase in Anatolien im 18. und frühen 19. Jahrhundert, • vor dem Hintergrund des türkischen Befreiungskrieges und des Bevölkerungsaustauschs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, • als Folge der gegenwärtigen Landfluchtbewegung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zunehmende Verknappung von kultivierbarem Flachland vor dem Hintergrund einer wachsenden Landbevölkerung, wie wir es seit etwa einem halben Jahrhundert in vielen türkischen Waldbergländern erleben, ist in der Geschichte des östlichen Mittelmeerraumes keineswegs eine singuläre Erscheinung der Moderne. Aber im Gegensatz zu heute kennt man als Folge eines hohen Bevölkerungsdrucks z. B. für Anatolien des 15./16. Jahrhunderts auffällige Siedlungsneugründungen. Schon in der Antike musste man auf ähnliche Herausforderungen reagieren und tat dies auch: aber eben nicht unbedingt mit Abwanderung und Siedlungsaufgabe, sondern im Gegenteil offenbar mit Anbau und Ausweitung von Intensivkulturen auf Terrassen und mit verstärkter Landnahme in Gebieten, die vorher und auch heute wieder nur marginalen Wert als Viehweiden besitzen.2 Indizien für derartige Intensivierungsprozesse mit veränderten Agrarmethoden, sozialer Umstrukturierung auf dem Lande, mit Arbeitsintensivierung, anderen Pflanztechnologien und neuen Pflanzenarten, mit Bewässerung und Kultivierung marginaler Landflächen sowie vielfältigerem Anbau durch zunehmend mehr Einzelhöfe, die Hanson als eine »quiet revolution« der Antike bezeichnet,3 liefern Untersuchungen in westanatolischen Bergländern reichlich.4 In den rezenten marginalen Problemräumen westanatolischer Waldbergländer dagegen sind derartige »moderne« Intensivierungen bislang weitgehend ausgeblieben.

Abstract:

The densely wooded West Anatolian mountains, hills, and valleyships are full of ruins and the remains of deserted rural settlements that encompass more than two millennia. That applies to the Troad as well. These ruins act as silent contemporary witnesses and valuable indications of the centuries-long struggle of rural and nomadic people for a marginal life and modest social conditions. There are several reasons for the recent decay of settlements. The traditional small farming systems in the Turkish mountains usually feature forest pastures for breeding goats and sheep, with additional agriculture on infertile and small plots of cleared land. These allow only marginal subsistence, and that is also the situation today in parts of the Troad. But why do we find continually expanding settlements that gradually become denser in population, and yet, several decades later, the farmsteads have been abandoned as have the neighboring villages? The plausible reasons for the increasing settlement density include strictly controlled settlement policies by the government for domestic consolidation, with a tax increase after a period of political weakness and instability, and spontaneous private processes of land acquisition and settlement extension by the rural population, which grew rapidly in connection with regional prosperity and political stability. What were the reasons for the apparently random and serious abandonments of settlements? We know such processes from mediaeval Europe too, where there were wars, epidemics, climate change, inflationary economic developments, and an increasing shortage of arable land, in part due to the law of succession in equal shares or as a result of population pressure. Farming on marginal cultivated areas also forced the peasants to abandon their land. The reasons in Anatolia – in different regions and at different times – were mostly the same. So we can discern within the Troad as well as in other West Anatolian mountain areas five noticeable phases of settlement and farmstead abandonment since the Byzantine period: • during the course of armed conflict at the time of the change from »Christian« to »Islamic« rule, which ran parallel to climatic changes and processes of »nomadization«; • during the period of weakness of the late Ottoman empire, in connection with civil strife and the recurring expansion of nomadism between the late 17 th and the 19 th century; • during the period of pestilence in Western Anatolia from the 18 th to the middle of the 19 th century; • in connection with the Turkish war of liberation and the population transfers within the first half of the 20 th century; • as a result of the contemporary migrations that have occurred since the second half of the 20 th century. The increasing shortage of arable land for the growing rural population, apparent for about half a century in many wooded mountain areas of Turkey, is not a single event in the history of the modern eastern Mediterranean. But during the 15 th and 16 th centuries, for example, we find new settlement foundations as a result of a high population pressure in Anatolia – a development that is very unlike the situation today. Even during the course of antiquity there was a distinct reaction to a similar challenge – not by rural exodus and the abandonment of settlements, as one finds today, but by increasing the acquisition of land, cultivating cash crops, and extending those crop areas on terraces within regions that had been previously valued only as pastures. Surveys within West Anatolian mountain areas give us numerous indications for such developments, which Hanson calls the »quiet revolution« of antiquity. This featured modified cultivation methods and social change in the country, improvements in working conditions, the input of different agro technologies and new plant species, irrigation and planting on marginal acreage, and varied agriculture on increasingly isolated farms. Within the recent and problematic hinterland regions of the wooded mountains of West Anatolia, however, these »modern« methods of intensifications have largely been absent until now.

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