Inhaltszusammenfassung:
Auch wenn die Entwicklung von Ventilsystemen in den 50er-Jahren die Behandlung
des Hydrozephalus revolutionierte und die Shuntoperation aus chirurgischer Sicht einen
eher einfachen Eingriff darstellt, weist die Shunttherapie immer noch eine sehr hohe
Komplikationsrate auf.
Um die Komplikationsrate zu senken, erfolgte im Jahr 2008 ein Shuntsystemwechsel in
der Klinik für Neurochirurgie der Uniklinik Tübingen. Hier wurde das bis dato verwendete
verstellbare Codman-Hakim®-Ventil (Codman-Ventil) durch das modernere
Miethke proGAV®-Ventil (proGAV-Ventil) abgelöst. Ziel dieser Studie war es, diese
zwei verstellbaren Shuntventileinheiten und Konstruktionsprinzipien im Hinblick auf
ihre unmittelbaren und sekundären Erfolgs- und Komplikationsraten zu beurteilen, um
auf wissenschaftlicher Basis sicherzustellen, dass der Shuntsystemwechsel Vorteile und
keine Nachteile für die behandelten Patienten mit sich brachte.
In der vorliegenden Arbeit wurden Daten von 322 Patienten (242 Erwachsene und 80
Kinder) retrospektiv analysiert. Bei diesen Patienten wurde im Zeitraum von 01/2006
bis 02/2011 aufgrund eines Hydrozephalus unterschiedlicher Genese ein ventrikuloperitoneales oder ventrikuloatriales Shuntsystem erstmalig (213 Erwachsene, 60 Kinder) oder im Rahmen einer Ventilrevision (29 Erwachsene, 20 Kinder) in der Klinik für
Neurochirurgie der Uniklinik Tübingen implantiert.
Im untersuchten Erwachsenenkollektiv wurden erstmalig 115 Patienten mit einem
Codman-Ventil und 98 Patienten mit einem proGAV-Ventil versorgt. Es bestand hier
kein relevanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich des Durchschnittsalters (Codman: 60,9 Jahre; proGAV: 60,7 Jahre). Das durchschnittliche Follow-up bei der Codman-Gruppe war deutlich länger als bei der proGAV-Gruppe (Codman:
801,52 Tage; proGAV: 623,88 Tage). Die häufigste Anwendung beider Ventile erfolgte
zur Behandlung eines Normaldruckhydrozephalus (Codman: n = 45/115; proGAV:
n = 47/98). In der proGAV-Gruppe waren statistisch signifikant weniger Erstrevisionen
notwendig. Die totale Shuntüberlebenszeit des proGAV-Systems war dem Codman-
System statistisch nicht überlegen, allerdings bestand ein klar erkennbarer Trend zu
einer längeren Überlebenszeit. Während die totale Shuntüberlebenszeit nach einem Jahr Follow-up ungefähr gleich war (proGAV-System: 74 %; Codman-System: 68 %), zeigte
sich nach 3 Jahren ein Vorteil für das proGAV-System (proGAV-System: 73 %; Codman-
System: 53 %). Die reine Ventilüberlebenszeit zeigte ebenfalls für das proGAVVentil
nach 5 Jahren ein tendenziell besseres Ergebnis (proGAV-Ventil: 88 %; Codman-
Ventil: 78 %). In der proGAV-Gruppe wurden statistisch signifikant weniger überdrainagebedingte Revisionen durchgeführt. Die Infektionsrate war unter Berücksichtigung aller Eingriffe mit 0,04 % extrem niedrig.
Im untersuchten Kinderkollektiv wurden erstmalig 31 Kinder mit einem proGAV-Ventil
und 29 Kinder mit einem Codman-Ventil versorgt. Die Kinder der proGAV-Gruppe
waren im Durchschnitt deutlich jünger als die der Codman-Gruppe (proGAV: 1,67 Jahre;
Codman: 2,48 Jahre). Das Follow-up bei der Codman-Gruppe war, wie bei den Erwachsenen, deutlich länger als bei der proGAV-Gruppe (Codman: 1498,68 Tage im
Durchschnitt; proGAV: 998,19 Tage im Durchschnitt). Die häufigste Anwendung beider
Ventile erfolgte zur Behandlung des durch Spina bifida verursachten Hydrozephalus
(proGAV: n = 7/31; Codman: n = 10/29). Die totale Erstrevisionsrate in den beiden
Gruppen wies keinen statistisch signifikanten Unterschied auf. Die totale Shuntüberlebenszeit und die Ventilüberlebenszeit des proGAV-Systems waren dem Codman-System statistisch nicht überlegen, der Trend zu besseren Überlebenszeiten war erkennbar, aber nicht so deutlich wie im Kollektiv der Erwachsenen. Auch bei dem Kinderkollektiv konnten statistisch signifikant weniger überdrainagebedingte Revisionen in der proGAV-Gruppe festgestellt werden (proGAV: 0/31 Kinder; Codman: 8/29 Kinder).
Hierbei beobachteten wir eine Tendenz zu vermehrten Wundheilungsstörungen in der
proGAV-Gruppe. Die Infektionsrate war unter Berücksichtigung aller Eingriffe mit
0,025 %, wie bei den Erwachsenen, extrem niedrig.
Die Doktorarbeit konnte somit nachweisen, dass das Ziel des Wechsels von einem Ventilsystem auf das andere, um vor allem die überdrainagebedingte Komplikationsrate zu
senken, ohne dadurch Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, erreicht wurde. Das
proGAV-System zeigte sich dem Codman-System insgesamt überlegen und auch die
totale Shunt- und Ventilüberlebenszeiten waren bei dem proGAV-System günstiger.
Die weniger deutlichen Unterschiede bei der totalen Shuntüberlebenszeit im Kinderkollektiv
sind neben der geringeren Fallzahl auch dem insgesamt komplikationsträchtigeren
Kollektiv geschuldet.