Inhaltszusammenfassung:
Die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter gilt als häufig und ist von hoher klinischer Relevanz. Für viele Patienten stellen Beeinträchtigungen im zwischenmenschlichen Bereich, die auf Probleme im sozialen Umgang mit Mitmenschen zurückgeführt werden, ein zentrales Problem dar. Nachteile in sozialen, beruflichen und schließlich emotionalen Bereichen sind die Folgen. Das Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb, grundlegende Fähigkeiten um erfolgreich sozial zu interagieren, wie das Beurteilen von emotionalen nonverbalen Signalen aus Gesicht und Stimme des Gegenübers, deren erfolgreiches Verknüpfen zu einem Gesamteindruck und die adäquate Reaktion auf sozial relevante Reize bei Erwachsenen mit ADHS zu untersuchen.
23 Personen mit und 31 Personen ohne ADHS nahmen an einer zweiteiligen Verhaltensstudie teil. Im ersten Experiment galt es, fröhliche, verführerische, angeekelte, ärgerliche und neutrale Botschaften in Gesicht und/oder Stimme professioneller Schauspieler beim Aussprechen verschiedener deutscher Worte zu unterscheiden, während die Darbietung akustisch, visuell oder audiovisuell erfolgte. Im Rahmen eines Go/Nogo-Tests wurden im zweiten Teil der Einfluss von Blickrichtung und Blickbewegung auf Verhaltensleistungen untersucht. Zusätzlich wurde mittels etablierter psychometrischer Testverfahren verbale und emotionale Intelligenz, aktuelle Depressivität, die Ausprägung unaufmerksamer sowie hyperaktiv-impulsive Symptomatik, Daueraufmerksamkeit und Wachsamkeit erhoben, um mögliche Zusammenhänge mit dem expliziten Erkennen von und der Reaktion auf sozialrelevante Signale zu erfassen.
Unter Verwendung von korrigierten Trefferquoten als Leistungsmaß im ersten und Auslassungsquote, Trefferquote und Reaktionszeiten im zweiten Experiment, wurden die erhobenen Daten mittels mehrfaktorieller Varianzanalysen, Korrelationsanalysen, t-Tests bzw. entsprechender nichtparametrischer Tests bei fehlender Normalverteilung analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten beim Unterscheiden von Emotionen aus Gesicht und Stimme deutlich schlechter abschneiden als Gesunde. Jedoch profitierten Patienten signifikant mehr von einer bimodalen Darbietung. Im zweiten Teil führte eine Blickzuwendung bei Patienten zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungen. Während das Defizit im expliziten Erkennen von Emotionen bei Menschen mit ADHS nicht ausschließlich durch Unterschiede in verbaler Intelligenz, aktueller Stimmungslage und grundlegenden Aufmerksamkeitsfunktionen erklärt werden konnte und bei Menschen mit ADHS mit dem Ausmaß der emotionalen Intelligenz zusammenhing, war die Reaktion auf Blickzuwendung allein durch Unterschiede in Daueraufmerksamkeit und Wachsamkeit erklärbar und ging in der Patientengruppe mit einer höheren Ausprägung der unaufmerksamen Symptomatik einher.
Diese Hinweise auf eine veränderte Verarbeitung von emotionalen und sozialen Hinweisen tragen zu einem breiteren Verständnis emotionaler und sozialer Defizite bei Menschen mit ADHS bei und könnten, durch weitere Studien gestützt, in Zukunft für die Entwicklung individualisierter Therapiestrategien genutzt werden.