Inhaltszusammenfassung:
Hintergrund: Die Kunsttherapie ist in der klinischen Behandlung von PatientInnen mit Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge-Eating Störung) eine Therapiemethode und gehört im Rahmen der stationären und teilstationären psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung zum Standard in der Bundesrepublik Deutschland (Jantschek 2004). Es gibt jedoch nur wenige wissenschaftliche Arbeiten und kaum empirische Daten zum Thema Kunsttherapiegruppe und Essstörungen (vgl. Ganter, 2009 und Lauschke, 2014). Ebenso fehlt bisher ein psychometrisch überprüftes Messinstrument, welches das Erleben der Kunstthera-piegruppe aus PatientInnen- und TherapeutInnensicht erheben kann.
Methode: Es wurde ein Fragebogen konstruiert, welcher das Erleben der Kunsttherapiegruppe aus PatientInnensicht (FEKTP) und TherapeutInnensicht (FEKTTH) erhebt. In diesem Fragebogen wurden 16 Wirkfaktoren von Grawe (2005) und Yalom (1985) für die Kunsttherapiegruppe umformuliert. Es fand mit n= 133 PatientInnen aus der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen und Heidelberg eine einmalige Befragung nach der 6. Kunsttherapiesitzung statt. Die Kunsttherapeutinnen (n=4) schätzten das Erleben der PatientInnen ebenfalls ein. Der FEKTP wurde mit einer Itemanalyse und einer Explorativen Faktorenanalyse untersucht. Der FEKTTH wurde anhand der Konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft. Um etwas über das Erleben der Kunsttherapiegruppe bei PatientInnen mit einer Essstörung aussagen zu können, wurden n=22 PatientInnen einmalig nach der 6. Kunsttherapiesitzung mit dem FEKTP befragt. Mit Hilfe des U-Test nach Mann & Whitney wurde die Nullhypothese: Es gibt keinen Unterschied des Erlebens in der Kunsttherapiegruppe zwischen den beiden Grundgesamtheiten (Essstörungen/ andere psychosomatische Erkrankungen), überprüft. Um die subjektiven Relevanzstrukturen der PatientInnen besser erheben zu können, wurden zusätzlich zwei qualitative, leitfadengestützte Interviews mit zwei an Anorexia nervosa erkrankten Patientinnen am Therapieende durchgeführt. Diese wurden mit der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2012) ausgewertet. Hauptfragestellung der Untersuchung war: Wie erleben PatientInnen mit einer Essstörung die Kunsttherapiegruppe?
Ergebnisse: Die Explorative Faktorenanalyse ergab für den FEKTP eine sechs-faktorielle Lösung, die 64,98% der Gesamtvarianz aufklärt. Die interne Konsistenz der sechs Faktoren lag mit Cronbach´s α zwischen 0,448 und 0,807. Die quantitativen Gütekriterien wurden erfüllt. Die Konfirmatorische Faktorenanalyse für den FEKTTH ergab eine geringe Modellpassung. Der U-Test ergab, dass die Skalen 2 (Klärende Erfahrungen des Sozialverhaltens) und 6 (Erfahrene Anteilnahme) von PatientInnen mit einer Essstörung im Vergleich zu den anderen psychosomatischen Krankheitsbildern, signifikant weniger positiv erlebt worden sind. Somit muss die Nullhypothese abgelehnt werden. Die Qualitative Inhaltsanalyse der Interviews ergab drei Hauptkategorien: Kunsttherapeutische Erlebensdimensionen aus Patientinnensicht, Kunsttherapeutische Erlebensdimensionen in Bezug auf die Kunsttherapeutin und in Bezug zur Kunst-therapiegruppe und Veränderte Selbstwahrnehmung der Patientin. Die Interviews zeigen vor allem den Wert der künstlerisch-ästhetischen Erfahrungen auf und veranschaulichen Bewältigungs- und Handlungsmöglichkeiten. Die Interviews unterstützten zudem die Ergebnisse der Fragebogenerhebung. Die Fragebögen FEKTP und FEKTTH sowie die Interviews stellen erstmalig verschiedene empirisch erhobene Erlebensdimensionen der Kunsttherapiegruppe dar.
Diskussion: Die Skala 6 (Erfahrene Anteilnahme) des FEKTP sollte auf Grund des Cronbach´s α= 0,448 Wert eventuell neu formuliert und erneut überprüft werden. Der FEKTTH muss mit einer größeren Anzahl an KunsttherapeutInnen erneut überprüft werden. Ebenso wäre eine Überprüfung des Fragebogens mit einem Außenkriterium wünschenswert. Eine größere Anzahl an Interviews zum Erleben der Kunsttherapiegruppe auch mit PatientInnen mit einer Bulimia nervosa oder Binge-Eating Störung wären erstrebenswert.