Inhaltszusammenfassung:
Hornmilben (Oribatida) sind in der Laubstreu gemäßigter Wälder arten- und zahlreich vertreten. Sie sind detritivor oder fungivor und verzehren diese Nahrung in Form von festen Partikeln. Diese relativ niederwertige Nahrung soll zu einer langsamen Bewegungsweise, einer verlängerten Generationsdauer und einer verminderten Reproduktionsrate führen. Deshalb haben Hornmilben zahlreiche verschiedene und sehr effektive Mechanismen zum Schutz vor Prädation entwickelt.
Der wohl komplexeste mechanische Defensivmechanismus ist die Ptychoidie, welche es den Tieren erlaubt ihre Beine und das Gnathosoma in einen sekundären Hohlraum im Idiosoma einzuziehen und mit dem Prodorsum zu verschließen. In diesem eingekapselten Zustand präsentieren die Tiere nach außen hin nur noch feste, durch Sklerotisierung und Biomineralisierung gehärtete, Kutikula und keine weichhäutigen Membranen mehr. Dadurch erlangen sie einen effektiven Schutz vor zahlreichen Fressfeinden. Für die Evolution der Ptychoidie müssen bestimmte Vorbedingen erfüllt sein: das Coxisternum muss frei beweglich sein, darf also mit keiner anderen kutikulären Struktur fest verbunden sein; die Kutikula des Notogaster muss gehärtet sein; das Coxisternum muss zusammenklappbar sein; und es muss ein System geben, welches die mit der Ptychoidie assoziierte Volumenänderung kompensieren kann.
Trotz dieser Komplexität ist die Ptychoide vermutlich dreifach unabhängig entstanden: einmal bei den Ptyctima und zweimal innerhalb der Enarthronota (bei den Mesoplophoridae und Protoplophoridae).
Zur Untersuchung der morphologischen und funktionellen Merkmale der Ptychoidie in den beiden Überfamilien der Ptyctima (Euphthiracaroidea und Phthiracaroidea), verwendeten wir Synchrotron-Röntgen-Mikrocomputertomographie (SRµCT), Rasterelektronenmikroskopie und Hochgeschwindigkeitsaufnahmen.
Schon auf den ersten Blick unterscheiden sich Euphthiracaroidea und Phthiracaroidea in der Ausprägung der Ventralplatten-Morphologie. Die Phthiracaroidea besitzen verschmolzene Anal- und Adanalplatten (Analklappen) sowie verschmolzene Genital- und Agenitalplatten (Genitalklappen). Die Anal- und Genitalklappen sind dabei voneinander abgegrenzt und sind in einer umlaufenden weichhäutigen Membran eingebettet (Anogenitalmembran).
Die Euphthiracaroidea besitzen entweder Holoventralplatten (vollständig verschmolzene Anal- und Genitalklappen) oder behalten nur eine feine Naht zwischen den beiden Klappen. In beiden Fällen sind die Platten stark verlängert und sind umrahmt von den Holoventralfalten, die eine Sklerotisierung der Anogenitalmembran darstellen.
Die mit den Ventralplatten assoziierte Muskulatur unterscheidet sich dementsprechend ebenfalls. Der Lateralkompressor des Notogaster (nlc) verbindet bei den Euphthiracaroidea über die gesamte Länge den Notogaster mit der Gelenkstelle zwischen den (Holo-) Ventralplatten und Holoventralfalten. Die Gruppe bestehend aus nlc, Ventralplatten-kompressor (vpc) und Ventralplattenadduktor (vpa) überspannt dabei auf Höhe des präanalen Apodems wie eine Brücke die ventralen Platten. Die simultane Kontraktion dieser Muskeln bewirkt eine Übertragung der Kräfte via des präanalen Apodems auf den Notogaster und führt somit zu einer lateralen Kompression desselben. Bei den Phthiracaroidea hat der nlc seinen Ursprung zwar ebenfalls am Notogaster, jedoch nur im letzten Drittel des Körpers und inseriert, anders als bei den Euphthiracaroidea, auf der Anogenitalmembran. Die Kontraktion des nlc führt hier aber in Kombination mit der Kontraktion des postanalen Muskels (poam) zu einem Einziehen der Ventralplatten in das Idiosoma.
Weitere Unterschiede betreffen beispielsweise das Manubrium (nur bei den Euphthiracaroidea vorhanden) und eine Nut, die ein Einklemmen des Sensillus’ zwischen Notogaster und Prodorsum im eingekapselten Zustand der Tiere verhindert (in dieser Ausprägung nur bei den Phthiracaroidea vorhanden). Der Protraktor des Coxisternum (csp) kommt nach dem bisherigen Stand unserer Forschung nur bei den Phthiracaroidea vor. Er ist in der Lage sowohl als Pro- wie auch als Retraktor der Beine zu fungieren.
Das Druck-Kompensationssystem für die Volumenänderung unterscheidet sich funktionell deutlich zwischen den zwei Gruppen, obwohl zum großen Teil dieselben morphologischen Strukturen involviert sind. Molekulare Untersuchungen und zum Beispiel die Position der Taenidiophore sprechen ebenfalls für einen gemeinsamen Ursprung der beiden Überfamilien. Durch den Vergleich mit einer potentiellen Außengruppe der Ptyctima, den Collohmannioidea, kann angenommen werden, dass die laterale Kompression wie sie bei den Euphthiracaroidea zu finden ist den ursprünglichen Zustand darstellt (basierend zum Beispiel auf der in die Länge gezogenen Form der Ventralplatten und der damit assoziierten Muskulatur). Dies wird auch durch molekulare Studien belegt, die zeigen, dass die Phthiracaroidea eine abgeleitete Gruppe darstellen die ihren Ursprung in den Euphthiracaroidea haben.
Weitere Forschungsvorhaben zur Ptychoidie sollten den Fokus auf die zwei verbleibleibenden (bisher nicht untersuchten) Gruppen der Ptyctima, Synichotritiidae und Steganacaridae, sowie die zwei Gruppen, die den Defensivmechanismus Ptychoidie innerhalb der Enarthronota entwickelt haben (Mesoplophoridae und Protoplophoridae), richten.
Die beiden Gruppen der Enarthronota sind dabei von besonderem Interesse, da sie die Ptychoidie auf einer gänzlich anderen phylogenetischen Basis evolviert haben. Schon eine äußerliche Betrachtung der Mesoplophoridae lässt den Schluss zu, dass der Druckaufbau ähnlich wie bei den Phthiracaroidea funktioniert. Allerdings sind hier die Anal- und Genitalklappen anders als bei den Phthiracaroidea in eine unpaare ventrale Platte eingebettet, die zum Teil aus Platten des Notogaster aufgebaut ist. Bei den Protoplophoridae sind die Ventralplatten (Anal- und Genitalklappen) durch eine äußerliche Betrachtung eingekapselter Tiere nicht auszumachen. Sie sind durch ehemals statische Platten des Notogaster verdeckt, die zu beweglichen und einziehbaren Strukturen umgewandelt worden sind und jetzt potentiell dem Druckaufbau dienen.
Diese äußerliche Betrachtung festigt die Annahme konvergenter Evolution der Ptychoidie bei den drei Gruppen.
Abstract:
Oribatida (Acari, Arachnida) are diverse and abundant in temperate forest litter. As particle feeding saprophages or mycophages, their food is of relatively low quality, which supposedly results in slow movement, prolonged generation time and reduced reproductive potential. Hence, oribatid mites developed a number of different defensive mechanisms. The most complex mechanical defensive mechanism is ptychoidy, where the animals can retract their legs and mouthparts into a secondary cavity in the idiosoma and encapsulate by deflecting the prodorsum. In this state the animals do not exhibit soft membrane but only—through biomineralization—hardened, thick cuticle, and are therefore well protected against many predators. Certain prerequisites have to be met for the evolution of ptychoidy: the coxisternum must be free from solid exoskeletal connections, i.e. embedded in soft membrane; the cuticle of the opisthosoma has to be hardened; the coxisternum must be foldable; and a system able to accommodate huge volume changes is needed.
Despite this complexity, ptychoidy evolved three times independently, once in the Ptyctima and twice in the Enarthronota (Mesoplophoridae and Protoplophoridae). We used synchrotron X-ray microtomography (SRµCT), scanning electron microscopy and high-speed videography to investigate the morphological and functional characteristics of ptychoidy in both superfamilies of the Ptyctima (Euphthiracaroidea and Phthiracaroidea).
At first glance Euphthiracaroidea and Phthiracaroidea considerably differ in the arrangement of the ventral plates. Phthiracaroidea posses fused anal and adanal (anal valves) as well as fused genital and agenital plates (genital valves). The genital and anal valves are separated from each other and are embedded in soft membrane (anogenital membrane).
Euphthiracaroidea posses either completely fused holoventral plates (complete fusion of anal and genital valves) or retain only a suture between anal and genital valves. In both cases the ventral plates are elongated and surrounded by the plicature plates, a sclerotization of the surrounding membrane.
The musculature associated with the ventral plates differs accordingly. In Euphthiracaroidea the notogaster lateral compressor connects the notogaster and the junction between the ventral and plicature plates on the complete length and combined with the ventral plate adductor and ventral plate compressor bridges the ventral plates in the area of the preanal apodeme. A simultaneous contraction of these muscles leads to a transmission of forces via the preanal apodeme onto the notogaster resulting in a lateral compression. In Phthiracaroidea on the other hand the notogaster lateral compressor is restricted to the last third of the ventral plates, inserting on the anogenital membrane. A contraction of the notogaster lateral compressor—along with the postanal muscle—leads to a retraction of the temporarily unified ventral plates into the idiosoma.
Other differences concern for example the manubrium (present in Euphthiracaroidea, absent in Phthiracaroidea), and the sensillus ridge allowing for an un-pinched stowage of the sensillus in encapsulated state (absent in Euphthiracaroidea, present in Phthiracaroidea). The coxisternal protractor, which is able to act as retractor as well as protractor of the legs, could only be found in the investigated species of Phthiracaroidea, but in none of the species of Euphthiracaroidea.
In conclusion, the mode of pressure build-up associated with ptychoidy is functionally different in the two groups of Ptyctima, but morphologically based on the same characters. Molecular data and for example the location of the taenidiophore also suggest a common origin. A comparison to a potential sister group of Ptyctima, the Collohmannioidea, indicates that the mode of pressure build-up of Euphthiracaroidea is ancestral (based on the elongated state of the ventral plates and the associated musculature). This is also affirmed by molecular studies showing that the Phthiracaroidea are a derived group originating from euphthiracaroid ancestors.
Further investigations regarding ptychoidy should include the two remaining— unexamined—ptyctime groups, Synichotritiidae (Euphthiracaroidea) and Steganacaridae (Phthiracaroidea), and the two groups that have evolved ptychoidy independently within the Enarthronota, Mesoplophoridae and Protoplophoridae. Especially the two enarthronote groups are of particular interest since they developed ptychoidy on a different phylogenetic basis. External observation of the Mesoplophoridae for example leads to the assumption that their mode of pressure build-up might be similar to that of the Phthiracaroidea. However, anal and genital valves of Mesoplophoridae are embedded in a single ventral plate of partially notogastral origin. In Protoplophoridae the anal and genital valves are not observable externally in encapsulated state. They are covered by cuticular plates that were converted from static notogastral plates into moveable and retractable plates that potentially function as system for the build-up of pressure.
These observations support the assumption of a convergent evolution of ptychoidy in the three groups.