Inhaltszusammenfassung:
Das Mammakarzinom ist in Deutschland die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Die Inzidenz des Mammakarzinoms steigt mit zunehmendem Lebensalter. Auf der anderen Seite sind ältere Patientinnen in klinischen Studien unterrepräsentiert. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels mit einem steigenden älteren Bevölkerungsanteil war das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Behandlungsrealität von älteren Patientinnen mit einem primären Mammakarzinom zu evaluieren.
In die vorliegende retrospektive Analyse wurden alle Patientinnen, die mit der Erstdiagnose Brustkrebs im Alter von über 65 Jahren zwischen 01/2001 und 12/2005 an der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen behandelt wurden, eingeschlossen. Als Kontrollgruppe dienten postmenopausale Patientinnen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren, die in demselben Zeitraum in der Klinik behandelt wurden. Neben den Tumorcharakteristika (z.B. Grading, TNM-Klassifikation, Hormonrezeptorstatus, HER2/neu-Überexpression) wurden die empfohlenen Therapien und die tatsächlichen Therapieverläufe dokumentiert. Dabei wurde untersucht, ob die Therapieempfehlung den Leitlinien entsprach und ob die empfohlene Therapie durchgeführt oder abgebrochen wurde. Weiter wurden die potenziellen Gründe für die Abweichung von einer leitliniengerechten Therapie und die Auswirkungen dieser Abweichungen auf die Prognose analysiert.
Die Patientinnen über 65 Jahre (Gruppe A) umfasste 380 Patientinnen und die Kontrollgruppe (Gruppe B) 252 Patientinnen. Das Durchschnittsalter aller Patientinnen lag bei 68,05 Jahren mit einem Median von 66 Jahren.
In Gruppe A traten häufiger größere Tumoren (48% vs. 35%, p<0,001) mit weniger aggressiven Charakteristika, einer besseren Zelldifferenzierung (G-Stadium) (9% vs. 14%, p=0,013) und einer vermehrten Hormonrezeptor-Expression (89% vs. 80%, p=0,002) auf. Es wurden signifikant weniger Chemotherapien in Gruppe A als in Gruppe B durchgeführt (18% vs. 56%, p<0,001). Leitliniengerechte Therapien (Chemo- und Hormontherapie) wurden in Gruppe A seltener als in Gruppe B empfohlen (83% vs. 91%, p=0,003). Die Analyse des Gesamtüberlebens ergab keinen signifikanten Unterschied zwischen den jüngeren und älteren Patientinnen. Dagegen zeigten die älteren Patientinnen ein signifikant kürzeres progressionsfreies Überleben (mittleres PFS von 99,56 (95% CI: 90,05-109,06) Monaten vs. 63,52 (95% CI: 54,12-72,91) Monaten, (p<0.001)).
Ein Grund für den Einsatz von milderen Therapien bei den älteren Patientinnen waren auftretende Nebendiagnosen: Beim Vorhandensein mehrerer Nebendiagnosen bei Erstdiagnose des Tumors wurden signifikant weniger Chemotherapien empfohlen (p=0,001). Als Abbruchkriterien der Chemotherapie spielen die Nebendiagnosen eine untergeordnete Rolle. Dagegen stieg der Anteil der Therapieabbrüche mit zunehmendem Alter (≥ 75 Jahre: 64% vs. 65–74 Jahre: 37%, p=0,017). Meist erfolgte dieser Therapieabbruch auf Wunsch der Patientin (79%).
Die vorliegenden Untersuchungen ergaben, dass bei älteren Hochrisikopatientinnen leitliniengerechte Therapien trotz schlechterer Prognose seltener angewandt werden als bei jüngeren Patientinnen. Ältere Patientinnen werden oft aufgrund ihrer Nebendiagnosen therapeutisch unterversorgt. Zudem verzichten ältere Patientinnen oftmals selbst auf eine aggressivere Therapie oder brechen diese vorzeitig ab. Diese Unterschiede führen zu einem deutlich kürzeren progressionsfreien Überleben. Ältere Patientinnen mit Brustkrebs sind mit zunehmender Tendenz das größte onkologische Kollektiv. Um die Therapiesituation von älteren Brustkrebspatientinnen langfristig zu verbessern, ist der Einbezug von älteren Patientinnen in klinische Studien und die Konzeption von speziellen Studien für ältere Patientinnen zu fordern.