Inhaltszusammenfassung:
Das Hauptziel dieser Dissertation war die Erstellung von Referenzbereichen für
die apparative vestibuläre Funktionsdiagnostik des hiesigen Zentrums für Neurologie.
Die Diagnostik umfasste Verfahren zur Bestimmung der Funktionstüchtigkeit
der Bogengänge, der Otolithenorgane und zentral vestibulärer Strukturen.
Der Schwerpunkt lag hierbei auf der Bestimmung des vestibulo-okulären
Reflexes als Maß für die Funktionstüchtigkeit der horizontalen Bogengänge.
Referenzbereiche wurden mittels Elektrookulographie für die klassischen rotatorischen
Testungen, Langdrehung und Stuhlpendel und für die kalorische Testung
erstellt. Darüber hinaus wurden mittels der Search-Coil-Technik Referenzbereiche
für den Kopf-Impuls-Test, der jeden Bogengang einzeln messbar
macht, bestimmt. Zur Einschätzung der Funktionstüchtigkeit der Otolithenorgane
wurden zervikale und okuläre vestibulär evozierte myogene Potentiale
(VEMP), die subjektive visuelle Vertikale und das Dumping durchgeführt. Dabei
wurden die okulären VEMP im Rahmen dieser Arbeit in die hiesige vestibuläre
Funktionsdiagnostik eingeführt. Die Search-Coil-Technik sollte für die Routinediagnostik
vorbereitet werden. Ein wichtiger Aspekt war die Bildung von Referenzbereichen
in Anlehnung an die Empfehlungen der International Federation
of Clinical Chemistry und des Committee for Clinical Laboratory Standards.
Damit wurde angestrebt, den häufig schiefen Verteilungen der Messwerte und
der vergleichsweise geringen Zahl an Probanden gerecht zu werden und damit
einen neuen Qualitätsstandard in die Referenzwerterstellung der vestibulären
Funktionsdiagnostik einzuführen.
Insgesamt nahmen 55 gesunden Probanden teil. Es wurden Referenzbereiche
für 81 Parameter gebildet. Aus verschiedenen Gründen und abhängig vom Verfahren
mussten zahlreiche Probanden ausgeschlossen werden, so dass die
Referenzbereiche meist auf einer Probandenzahl zwischen 20 und 40 beruhen.
Häufig zeigten sich hohe Schwankungsbreiten, teils bedingt durch schiefe Verteilungen,
so dass für die meisten Verfahren die Seitenunterschiede die zuverlässigsten
Parameter sein dürften. Bezüglich der neueren Verfahren ist zu sagen,
dass ca. die Hälfte der Probanden keine verwertbaren VEMP hatten, so dass mit einer Befundquote von nur ca. 50% bei Patienten zu rechnen ist. Die
Search-Coil-Technik lieferte, wahrscheinlich bedingt durch noch nicht optimierte
Coils, nur aussagekräftige Referenzbereiche für den horizontalen Kopf-Impuls-
Test. Die Ergebnisse der einzelnen Parameter werden im Detail diskutiert.
Die Parameter wurden zudem auf Altersabhängigkeiten hin getestet. Mit dem
Alter abnehmende Werte wurden beobachtet für die p13-n23 Amplitude der
zervikalen VEMP, die Genauigkeit der subjektiven visuellen Vertikalen, den horizontalen
VOR-Gain, bestimmt mittels Stuhlpendel und Kopf-Impuls-Test, und
die postrotatorische Zeitkonstante.
Durch die Bestimmung zahlreicher Parameter vestibulärer Diagnostik in der
gleichen Stichprobe konnte nach Zusammenhängen gesucht werden. Hierbei
zeigte sich, dass 1. die subjektive visuelle Vertikale mit dem Seitenunterschied
der zervikalen VEMP korreliert, 2. die unterschiedlichen Verfahren der VORGain-
Bestimmung (Stuhlpendel, Langdrehung, Kopf-Impuls-Test), gemessen
am Seitenindex, verschiedene physiologische Parameter messen und 3. der
VOR-Gain des Stuhlpendels, die postrotatorische Zeitkonstante und die kalorische
Maximalgeschwindigkeit (Warmspülung) vom gleichen physiologischen
Parameter beeinflusst sein könnten.
Es wurden ferner Fragebögen zur Einschätzung der psychopathologischen Belastung,
Angstneigung und klinisch nicht manifester Schwindelsymptome eingesetzt.
Korrelationsanalysen explorativen Charakters lassen vermuten, dass 1.
kalorische Nystagmen durch psychopathologische Belastung beeinflussbar
sind, 2. Ängste einen Einfluss auf die Unterdrückung von Nystagmen durch das
Dumping haben könnten und 3. eine höhere Gewichtung vestibulärer gegenüber
visuellen Eingängen mit subtilen Störungen des subjektiven Gleichgewichts
einhergehen könnte. Eine zusätzliche Abfrage des Drehgefühls während
postrotatorischer und kalorischer Nystagmen lässt vermuten, dass eine erhebliche
Diskrepanz zwischen der subjektiven Wahrnehmung und okulomotorischer
Effekte vestibulärer Reize besteht.