Inhaltszusammenfassung:
Das aus Mitteln des BMFSFJ geförderte, bei der Stadt Hannover angesiedelte
Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“
wurde während seiner gesamten Laufzeit (März 1998 bis Februar 2001)
von einem interdisziplinär besetzten Team der Universität Gießen wissenschaftlich
begleitet und evaluiert. Zentrale Aufgabe des Projekts war
es, im Hinblick auf Gewalterfahrungen älterer Menschen im häuslichen
und familiären Bereich Präventions- und Interventionsansätze zu erproben.
Dabei wurde ein weites Verständnis von Gewalt zugrunde gelegt,
welches neben unmittelbarer körperlicher Zwangseinwirkung auch verbale
Aggression, Einschränkungen der Willensfreiheit, finanzielle Ausbeutung
sowie intentionale und nicht intentionale Formen der Vernachlässigung
einschließt.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts verfügten vor allem
über sozialarbeiterische und sozialpädagogische Qualifikationen. Ihre
Arbeitsschwerpunkte lagen in den Bereichen der Beratung und aufsuchenden
Sozialarbeit, der Konzeption und des Aufbaus spezifischer
Angebote in drei ausgewählten Stadtbezirken, der Vernetzung des Projekts
mit für die Bearbeitung des Problemfeldes hilfreichen Institutionen
auf lokaler wie nationaler Ebene, der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Organisation
und Durchführung von Tagungen, Fortbildungen und anderen
Veranstaltungen. Beratung wurde u.a. im Rahmen eines „Krisenund
Beratungstelefons im Alter“ angeboten. Zu den wesentlichen Produkten
der stadtteilbezogenen Arbeit gehörten ein „Häuslicher Unterstützungsdienst“
für pflegende Angehörige, eine Veranstaltungsreihe zu
altersbezogenen Themen und ein Beratungsführer. Im Bereich der Vernetzungsaktivitäten
wurde u.a. eine lokale Arbeitsgemeinschaft telefonischer
Beratungsanbieter gegründet.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Modellprojekts haben in insgesamt
rund 340 Fällen Beratung geleistet. Dabei wurde eine sehr große
Bandbreite von Themen und Problemlagen an das Team herangetragen;
viele Beratungsanliegen ließen sich auch unter den oben skizzierten
weiten Gewaltbegriff nicht subsumieren. KlientInnen des Modellprojekts
in Gewaltfällen waren in vielen Fällen Personen, die aufgrund
einer beruflichen oder privaten Beziehung zu den unmittelbar in das
Problem involvierten Personen von dem Fall Kenntnis genommen hatten. Insbesondere Vernachlässigungsopfer waren durch die Beratungsangebote
kaum zu erreichen, eine Erfahrung, die andere Einrichtungen
in ähnlicher Weise machten.
Das Krisen- und Beratungstelefon im Alter, der Häusliche Unterstützungsdienst
und die Arbeitsgemeinschaft telefonischer Beratungsanbieter
für ältere Menschen werden auch nach dem Ende des Modellprojekts
in Hannover weiterbetrieben.
Die wissenschaftliche Begleitung war in der Anfangsphase des Modellprojekts
aktiv an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt. In
der eigentlichen Evaluationsphase bediente sie sich zur Dokumentation
und Evaluation der verschiedenen Module des Modellprojekts einer
Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren (schriftliche und
mündliche Befragungen, teilnehmende Beobachtung, Dokumentenanalyse,
Gruppendiskussion). Andere mit der Thematik „Gewalt gegen Ältere“
befasste Institutionen in Deutschland, den USA und anderen Ländern
wurden – auf der Grundlage von Interviews und publizierten
Materialien – vergleichend herangezogen.
Im Ergebnis betrachtet die wissenschaftliche Begleitung den inhaltlichen
Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts – Fälle der Gewalt gegen
ältere Menschen, die in der häuslichen Umgebung und von Personen
aus dem sozialen Umfeld der Opfer begangen werden – für eine
eigenständige Beratungs- und Hilfeeinrichtung auf lokaler Ebene als zu
eng gewählt. Sie weist darauf hin, dass das Modellprojekt den im Titel
vorgegebenen Themenbereich in seiner praktischen Arbeit vielfach erweitert
hat und dass die Hilfebedürfnisse der KlientInnen nur zum Teil
aus Fällen der Nahraumgewalt erwachsen. Angesichts des u.a. im Fallaufkommen
des Modellprojekts sichtbar werdenden Beratungsbedarfs
befürwortet die wissenschaftliche Begleitung die Einrichtung von thematisch
weit gefassten Beratungsdiensten für ältere Menschen und hält
zugleich die aktive Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“
in das Angebot bestehender Institutionen, insbesondere von Einrichtungen,
die der Familienberatung und dem Schutz von Frauen vor
häuslicher Gewalt dienen, für geboten. Der Vernetzungsansatz des
Modellprojekts, die dezentrale Vorgehensweise auf Stadtteilebene, das
Aufsuchen der KlientInnen in der alltäglichen Lebensumwelt und die
Ausrichtung von Fortbildungen und Veranstaltungen auf Personen mit
Multiplikatorfunktion werden als bedeutsam und auf andere Städte oder
Regionen sinnvoll übertragbar eingeschätzt.