Inhaltszusammenfassung:
Ein besonderes Phänomen der Sprache, das schon viele Jahre in der Philosophie (Russell, 1905) und in der Linguistik (u.a. Heim, 1982, 1991; Strawson, 1950; Kadmon 2001; Beaver & Zeevat, 2007) diskutiert wird und in der Psycholinguistik (u.a. Chemla & Schlenker, 2012; Schwarz, 2007) immer mehr an Bedeutung gewinnt, sind Präsuppositionen. Präsuppositionen sind vereinfacht gesagt Hintergrundinformationen, die durch ein bestimmtes Wort oder eine Satzkonstruktion ausgelöst werden. Der Inhalt der Präsupposition muss dabei im Kontext gegeben sein, damit der Satz eine sinnvolle Bedeutung erhalten kann. In dem Beispiel „Die Königin von Deutschland hat sieben Kinder“ löst der definite Artikel die Präsupposition aus, dass eine Königin von Deutschland existiert (Existenz-Präsupposition) und diese einzigartig (Einzigkeits-Präsupposition) ist. Da wir wissen, dass Deutschland keine Monarchie ist und damit keine Königin hat, macht es keinen Sinn diesen Satz so zu äußern.
Die vorliegende Arbeit hatte zum Ziel, kognitive Prozesse der Präsuppositionsverarbeitung und deren Zeitverlauf zu untersuchen. Dazu wurden das Selbstbestimmte-Leseparadigma und die Elektroenzephalographie (EEG) verwendet. Beim Selbstbestimmten-Leseparadigma bestimmt der Leser per Tastendruck, wann das nächste Wort eines Satzes dargeboten werden soll. Während eine anfängliche Studienreihe (Exp 1, Exp 2, Exp 3) dazu diente, erste Fragen bezüglich der Präsuppositionsverarbeitung zu klären, so wurden in den darauffolgenden Experimenten Prozesse und deren Zeitverlauf der Präsuppositionverarbeitung untersucht (Exp 4, Exp 5, Exp 6, Exp 7). Darüber hinaus wurde die Verarbeitung des definiten Artikels und des indefiniten Artikels in mehreren Experimenten verglichen (Exp 4, Exp 5, Exp 6).
Die Lesezeitergebnisse ergaben, dass die Verarbeitung um den Artikel begann und über mehrere Worte anhielt. Außerdem zeigte sich, dass sich der definite und der indefinite Artikel in ihrer Verarbeitung frühe kognitive Prozesse teilten, sich jedoch in späten Prozessen unterschieden. Unter frühe Prozesse diskutierten wir eine Referenz- und Evaluationsprozess. Als späte Prozesse nahmen wir Reparaturprozesse an. In einem weiteren Experiment (Exp 7) wurde beobachtet, dass Verarbeitungsprozesse von Präsuppositionen auch später im Satz initiiert werden konnten, wenn der Inhalt der Präsupposition später im Satz verifiziert wurde.
Die Ergebnisse wurden in einem Arbeitsmodell zur Präsuppositionsverarbeitung integriert. Abschließend wurde die Gültigkeit des Modells u.a. über andere Präsuppositionsauslöser hinweg diskutiert.