Inhaltszusammenfassung:
Im Rahmen der Krebstherapie stellt die Strahlentherapie einen sehr wichtigen Teil der
aktuellen medizinischen Behandlungen dar. Etwa die Hälfte aller Krebspatienten wird neben
weiteren therapeutischen Maßnahmen, wie Operationen oder Chemotherapie, mit Strahlung
behandelt. Es ist durch verbesserte Algorithmen und Geräte mittlerweile möglich, die Dosis
und den zu bestrahlenden Bereich sehr präzise einzugrenzen. Dennoch wird noch immer auch
gesundes Gewebe bestrahlt. Um die Nebenwirkungen der Strahlentherapie im umliegenden
gesunden Gewebe so niedrig wie möglich zu halten, können Radioprotektoren eingesetzt
werden. Ein sehr aussichtsreicher Kandidat ist dabei das in dieser Arbeit näher untersuchte
O-Phospho-L-Tyrosin (pTyr).
Es konnte hier gezeigt werden, dass eine 16-stündige Vorinkubation mit pTyr zu einer
effektiven Radioprotektion der TP53-Wildtypzelllinie A549 führt. Bei kürzeren
Behandlungszeiten konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden.
Vorangegangene Untersuchungen mit pTyr hatten gezeigt, dass es nach einer Inkubation von
Zellen mit pTyr zu einer Akkumulation des Epidermalen Wachstumsfaktors (EGFR) und des
Aryl-Hydrokarbon-Rezeptors (AhR) im Zellkern kommt. In der vorliegenden Arbeit konnte
diese Beobachtung bestätigt werden und außerdem festgestellt werden, dass es zu einer
Bindung zwischen dem AhR und dem EGFR nach pTyr-Behandlung kommt.
Jedoch zeigte ein AhR-Knockdown deutlich, dass das durch eine pTyr-Vorbehandlung
verbesserte klonogene Überleben nach Bestrahlung nicht vom AhR abhängig ist. Allerdings
scheint der AhR bedeutend für das Gesamtüberleben nach ionisierender Strahlung zu sein.
Stattdessen konnte diese Arbeit zeigen, dass eine pTyr-Behandlung in TP53-Wildtypzellen zu
einer verstärkten Öffnung der DNA durch eine verstärkte Acetylierung/ Phosphorylierung an
Histon H3 (K9/ S10) ohne vorige Bestrahlung führt. Die Öffnung der DNA ist eine wichtige
Voraussetzung, damit Reparaturproteine an DNA-Schäden gelangen und diese beheben
können. Dieser Effekt konnte bei den untersuchten TP53-mutierten Zelllinien jedoch nicht
beobachtet werden, da diese von vornherein ein höheres Acetylierungslevel aufwiesen als die
TP53-Wildtypzellen.
Diese Acetylierung an Histon H3 konnte in dieser Arbeit in Zusammenhang mit der Histon-
Acetyltransferase Tip60 gebracht werden. Nach pTyr-Inkubation akkumuliert Tip60 ebenfalls
in dem Zellkern und zeigt eine gesteigerte Aktivität, was bei der ebenfalls untersuchten
Acetyltransferase P300 nicht beobachtet werden konnte.
Da die bereits bekannten pTyr-Effekte sehr energieaufwendige Signalkaskaden in Gang
setzen und zudem auch ein Zusammenhang zwischen TP53 und der mitochondrialen Atmung
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bekannt ist, wurden in dieser Arbeit auch die Effekte von pTyr auf den Metabolismus näher
untersucht.
Hierbei konnte gezeigt werden, dass die TP53-Wildtypzellen nach pTyr-Behandlung eine
erhöhte Aufnahme an Glukose aufwiesen, welche über den Glukosetransporter SGLT-1
stattfand und zu einem vorrübergehend erhöhten ATP-Level führte. Gleichzeitig sank jedoch
das mitochondriale Membranpotential ab, was für eine reduzierte Aktivität der Mitochondrien
spricht. Die Anzahl an Mitochondrien sank ebenfalls kurzzeitig ab, stabilisierte sich nach
16 Stunden jedoch wieder.
Die Ursache liegt vermutlich darin, dass die Zellen ihre Energiegewinnung von
mitochondrialer Atmung auf die bei Bestrahlung stabilere Laktatfermentation verschieben.
Der vorübergehende Abfall der Mitochondrienzahl ist wahrscheinlich durch Mitophagie
bedingt, hierfür spricht auch der beobachtete Anstieg des Autophagie-Initiatorproteins
AMPK. Das vorübergehende Absinken der Mitochondrienzahl konnte auch auf molekularer
Ebene auf der Basis des Proteinlevels der Cytochrom-C-Oxidase 2 (COX2) und dessen für
den Einbau in den COX-Komplex notwendigen Faktor SCO2 bestätigt werden.
Offenbar führt eine pTyr-Inkubation zu einem Abbau von wahrscheinlich älteren oder
defekten Mitochondrien und einer anschließenden Neusynthese. Gleichzeitig wird aber die
Aktivität der Mitochondrien herabgesetzt, was die Zellen vor einem erhöhten ROS-Level
nach Bestrahlung schützt. Die Zelle wird ihre notwendige Energie stattdessen durch die
Glykolyse decken, für die sie aufgrund der herabgesetzten Effektivität eine gesteigerte Menge
an Glukose aufnimmt.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass pTyr sowohl einen positiven Einfluss auf die
DNA-Reparatur hat, als auch Einfluss auf den Metabolismus der TP53-Wildtypzellen ausübt
und ihnen damit bessere Voraussetzung schafft, wenn es anschließend zu einer Bestrahlung
der Zellen kommt.
Es ist zu hoffen, dass diese Erkenntnisse in Zukunft zu einer nebenwirkungsärmeren und
sogar effektiveren Strahlentherapie von Krebspatienten führen werden.