Inhaltszusammenfassung:
Ziel der Arbeit ist es, die jüngeren Verbreitungen und Artbildungsprozesse zweier rarer (pontisch-)pannonischer Steppenpflanzen aus der Familie der Schmetterlingsblütler (Fabaceae), die sich in ihrer morphologischen Aufgliederung unterscheiden, sowohl molekulargenetisch (mittels Klonierung und Sequenzierung von rDNA-Spacerregionen) als auch pflanzensoziologisch nachzuzeichnen. Die beiden untersuchten Arten, Wollige Fahnenwicke (Oxytropis pilosa) sowie die Ungarische Platterbse (Lathyrus pannonicus), haben in weiten Teilen Eurasiens eine ähnliche Verbreitung.
Während O. pilosa über ihr Gesamtareal eine morphologisch homogene und genetisch schwach differenzierte Art darstellt, gliedert sich die ihr gegenübergestellte L. pannonicus sehr stark in morphologisch definierte Unterarten mit bemerkenswerter genetischer Variabilität, die sich genetisch-ökologisch als jeweils einen trockenheits- und einen feuchtigkeitsliebenden Ökotyp zusammenfassen lassen. Die ökologische Differenzierung der beiden untersuchten Arten kann mit der Braun-Blanquet-Methode erfasst und charakterisiert werden, wobei eine genaue synsystematische Zuordnung weder möglich noch angestrebt ist. Mit Hilfe der Braun-Blanquet-Aufnahmen wurden Ellenberg-Zeigerwerte und ökologisch-definierte Habitatdistanzen (über Bray-Curtis-Distanzen) generiert und diese den durch Klonierung und Sequenzierung gewonnenen molekularen Daten gegenübergestellt. Auf diese Weise war es möglich, trotz der hohen inter- und intraindividuellen Variabilität im Falle von L. pannonicus zu einem evolutionär-interpretierbaren Ergebnis zu kommen.
Bei L. pannonicus zeigt sich, dass die ökologische Differenzierung als die treibende Kraft im Artbildungsprozess gesehen werden kann, demgegenüber ein geographisches Differenzierungssignal zurücktritt. An die Stelle der traditionell morphologisch unterschiedenen Unterarten treten zwei genetisch-ökologisch klar charakterisierbare Haupttypen (evolutionäre Linien), die möglicherweise sogar als Arten angesprochen werden könnten. Die morphologische Gleichförmigkeit von O. pilosa geht einher mit ihrer ökologischen Konstanz, jedoch gibt es auch hier verschiedene genetische Typen, welche mit der geographischen Verbreitung korrelieren. Es konnte gezeigt werden, dass die genetische Variation innerhalb der Art O. pilosa die Divergenz zwischen allgemein akzeptierten Arten ihrer Schwestergattung Astragalus, die z.T. auch als Relikte angesehen werden, entspricht oder sogar statistisch-signifikant übertrifft.
Die umfassende Charakterisierung der untersuchten Reliktarten zeigt auf, welche Unterarten beziehungsweise Ökotypen und letztlich Populationen für den Naturschutz als besonders vordringlich aufgezeigt und wie neben den Arten und Unterarten selbst auch deren Habitate charakterisiert werden können. Dabei zeigt sich, dass traditionell bedingte taxonomische Kategorien (Unterarten, Arten, Gattungen) ungeeignet sind, schützenswerte Einheiten zu definieren. Im Sinne des Prozessschutzes ist es wünschenswert, dass die ökologischen Standortbedingungen bei aller Veränderlichkeit einen Erhalt der Reliktarten auch weiterhin ermöglichen. Für die untersuchten Arten kann aufgrund der pflanzensoziologischen Aufnahmen auf eine Besiedlung insbesondere von gestörten Biotopen geschlossen werden: Bevorzugt werden durch massive Störungen Lückigkeit aufweisende Habitate eingenommen, so beispielsweise beweidete oder anderweitig stark anthropogen beeinflusste und damit stark offengehaltene Flächen bis hin zu Bahndämmen. Ein Monitoring im Sinne einer Effizienzkontrolle ist für diese Reliktarten in ihren starken Wechseln unterworfenen Habitaten überdies eine Notwendigkeit. Die Schwierigkeit von Naturschutzmaßnahmen unter diesen Umständen wird ebenso diskutiert wie die Vernetzung von Habitaten, welche für Reliktarten nicht notwendigerweise zielführend ist. Insbesondere erschwert die Besonderheit vieler reliktischer Standorte eine Vernetzung der Habitate. Im Sinne des Erhalts der Biodiversität ist es wichtig, aber auch erfolgsversprechend, die umfassend in ihren Eigenheiten erkannten Reliktarten mit ihrer Angepasstheit im Fortbestand zu sichern und ihren Artbildungsprozess unter Bedingungen nicht zuletzt des Klimawandels weiter zu verfolgen.
Abstract:
In order to conserve biodiversity and develop taxon-specific conservation measures it is important to define and identify taxonomic units, which require protection. In this thesis, the differentiation processes in two species of the Fabaceae, the Hungarian Pea Lathyrus pannonicus (Jacq.) Garcke and the Wolly Milkvetch Oxytropis pilosa DC., are investigated using a combination of phytosociological surveys (using the Braun-Blanquet method) and molecular sequence data, and a set of analyses which include entirely novel approaches. Both species are relict species and elements of the Pontian-Pannonian floristic province. In the case of the generally more variable Lathyrus pannonicus correlations are found between ecological, morphological and genetic inter-stand distances. Mean Ellenberg indicator values calculated for stands (based on the Braun-Blanquet relevés) allowed to characterise the ecological properties of members of all subspecies, and to conclude that the genetic differentiation found in L. pannonicus is closely linked to Ellenberg’s moisture figure “F”. Lathyrus pannonicus and its subspecies fall into two major lineages in Europe: (1) a dry-adapted lineage (subspecies collinus, suevicus, and varius) thriving in habitats with mean “F” values of < 4, and (2) a moist-preferring lineage (subspecies asphodeloides, longestipulatus, pannonicus, and the intermediate Rovere type) occurring in habitats with mean “F” values of > 4. Oxytropis pilosa is genetically less variable than Lathyrus pannonicus, which corresponds to its highly conserved morphology and ecology. Nevertheless, two major genetic variants are present. Using non-hierarchical clustering it is shown that this intra-specific variation in O. pilosa is as high or higher than inter-species divergence in other subclades of the Astragalus/Oxytropis genus complex. The two main genetic types reflect geographic differentiation. Pure and mixed populations are found, all of which ought to be protected to maintain current levels of biodiversity. The results of the plant phytosociological and genetic analyses of both target species are discussed in the context of conservation strategies: rather than maintaining mere high numbers of (currently accepted or proposed) species, it is important to select and preserve the populations, which provide the genetic resources within a species. The importance of taxon-specific conservation means is highlighted, and a recommendation is given how to preserve biodiversity.