Inhaltszusammenfassung:
Archegozetes longisetosus Aoki 1965 ist eine parthenogenetische Hornmilbe mit
pantropisch-disjunkter Verbreitung aus der Familie der Trhypochthoniidae. Durch
ihre einfache Haltung, schnelle Generationenfolge und hohe Fruchtbarkeit erfüllt
sie wesentliche Merkmale eines geeigneten Modellorganismus. 1993 wurde von
Roy A. Norton aus einem einzelnen puertoricanischen Weibchen ein Laborstamm
etabliert, A. longisetosus ran, der inzwischen weltweit in Laboren vertreten ist, was
mit dazu führte, dass A. longisetosus mittlerweile die insgesamt am besten untersuchte
Hornmilbe darstellt. Von besonderem Interesse ist die Art für evolutionsbiologische
Studien, Da sie zu einem Schwarm obligat parthenogenetischer Linien
gehört, für die molekulare Studien ein sehr hohes Alter von evtl. über hundert Millionen
Jahren nahelegen. Ein genaues Verständnis der Fortpflanzungsvorgänge
von A. longisetosus dient also nicht nur der Erweiterung unserer allgemeinen Kenntnis
eines Modellorganismus, sondern darüber hinaus dem besseren Verständnis
der Randbedingungen ein- und zweigeschlechtlicher Fortpflanzung, sowie der
unterschiedlich langen Überlebenswahrscheinlichkeit der verschiedenen Formen
eingeschlechtlicher Fortpflanzung. Ein Schritt auf dem Weg zu diesem Verständnis,
und notwendige Bedingung für weiterführende Studien, ist der Aufbau einer
anatomischen Datengrundlage zu Aufbau, Funktion und Entwicklung der an der
Fortpflanzung beteiligten Organe und Gewebe. Dieses Erkenntnisinteresse lag der
vorliegenden Arbeit zugrunde. Anhand hochauflösender Synchrotron- Röntgen-
Mikro- Computer- Tomographien (SR-μCT) wurden dreidimensionale Modelle der
Genitalorgane und ihrer Anlagen in allen freilebenden Stadien von der Larve bis
zum Adultus erstellt. Da pro Entwicklungsstadium mehrere Modelle im Abstand
weniger Tage erstellt werden konnten, konnten so wichtige Erkenntnisse über
die Entwicklung der Genitalorgane gewonnen werden. So zeigte sich, dass schon
in Larvenstadien ein somatischer und ein germinativer Anteil der Genitalanlage
unterschieden werden kann. Die weitere Entwicklung dieser Anlage verläuft kontinuierlich,
und weitgehend unabhängig von den Häutungen der Körperhülle. Vorläufer
der Ovidukte beginnen sich ab der Protonymphe zu entwickeln, während die
Vermehrung der Eizellen in der Deutonymphe stattfindet. Ab der Tritonymphe
bilden sich auch die ektodermalen Anteile des Genitalsystems aus. Die Ovidukte
bilden sich dabei wohl nicht als Evaginationen eines die Eizellen enthaltenden
Coelomsackes, sondern entweder als randliche Abfaltungen des Genitalcoeloms,
oder als laterale Evaginationen, die retrograd sekundären Kontakt zum germinativen
Teil aufnehmen, eine Beobachtung, die noch weiterer Klärung bedarf.
Sehr erleichtert durch die Modellserie wurde auch die Planung von Semi- und Ultradünnschnittserien
ausgewählter Strukturen, die histologische und funktionelle
Einsichten lieferten. So konnte das Einsetzen der Meiose in der Tritonymphe, die
Aufnahme von Dottervorstufen aus dem Fettkörper in die Eizelle durch Mikrovilli
und ‘coated pitsˊ, die Ablagerung von Eihüllenmaterial und dessen Verfestigung
beim Übergang ins Ovidukt beobachtet werden. Durch diese Erkenntnisse konnte
eine Nomenklatur des Genitalsystems begründet werden, das Ovar als funktionell
panoistisch klassifiziert und die Ovidukte als geschützter Raum der Embryonalentwicklung
beschrieben. Insgesamt ergeben sich Hinweise darauf, dass der Reproduktionsmodus
durch Wegfall der Befruchtung die anatomische Verdichtung
und Verschränkung der Prozesse erlaubt, was eine konstant hohe Reproduktionsrate
auch unter kurzfristig wechselnden Lebensbedingungen ermöglicht. Mit der
vorgestellten Methodenauswahl konnte der Reproduktionsmodus der Thelytokie
mit terminaler Fusion und invertierter (postreduktionaler) Meiose im funktionalen
Zusammenhang dargestellt, und A. longisetosus als aussichtsreiches Modellsystem
für auch über den Bereich der Cheliceraten hinausweisenden Fragestellungen
vorgestellt werden.
Abstract:
Archegozetes longisetosus Aoki 1965 is a parthenogenetic oribatid mite, that has a
pantropical-disjunct distribution. It is a member of the family of Trhypochthoniidae.
Its ease of rearing, rapid succession of generations and high fecundity fulfill
central requirements of a suitable model organism. Roy A. Norton in 1993 founded
a laboratory strain from a single puertorican female, Archegozetes longisetosus ran,
which is since kept in laboratories worldwide. This laboratory strain lead to A.
longisetosus being the most thoroughly studied oribatid mite. The species is of
special interest in studies on evolutionary biology, as it is a member of a cluster
of obligatory parthenogenetic species, for which molecular studies have indicated
a very old age of probably more than a hundred million years. Detailed insight
in the reproduction of A. longisetosus therefore does not only broaden our knowledge
of a model organism, but may also contribute to a better understanding of
the ancillary conditions of uni- vs. bisexual propagation, as well as the differential
likelihood of long term stability in different forms of unisexual propagation. One
step on the way towards this goal, and a necessary condition for future studies, is
the acquisition of anatomical data regarding structure, function and development
of organs and tissues. This cognitive interest lay at the starting point of the study
at hand. With the aid of high-resolution synchrotron X-ray micro computer tomographies
(SR-μCT), three-dimensional models of the genital organs and their precursors
were obtained from all freeliving instars (larva to adult). As several models
per instar at intervals of several days were obtained, important insight in developmental
processes was gained. Already in the larva, germinative and somatic
portions of the genital anlage can be distinguished. Further development proceeds
continously, and largely independent from cuticular moulting. Precursors
of the oviducts start to develop in the protonymphal stage, whereas proliferation
of the germcells takes place during the deutonymphal stage. Ectodermal portions
of the genital systems start development in the tritonymphal stage. The oviducts
apparently do not form as evaginations of a coelomic sac containing germline cells,
but either as lateral folds of the coelomic cavity or as lateral evaginations, which
retrogradally form secondary contact sites to the germinative portion. Further investigations
are needed to establish the mode of oviduct formation unequivocally.
Three-dimensional models also facilitated the planning of semi- and ultrathin serial
sectionings, which yielded histological and functional information. Observations
made using electron- and lightmicroscopy included the onset of meiosis I in
the tritonymphal stage, uptake of yolk precursors from the fat body into the oocyte
via microvilli and coated pits, accumulation of egg shell material simultaneous to
yolk accumulation, and the solidification of the egg shell upon passing into the
oviduct. These observations justified a nomenclature of the genital system and
the classification of the ovary as panoistic. Additionally, the oviducts could be described
as a sheltered space for embryonal development. In summary, the results
indicate that the loss of fertilization in the reproduction of A. longisetosus permits
both anatomical and temporal compaction of the related processes, enabling
relatively high average reproductive rate, even in the face of short-term unstable
environmental conditions. The selection of methods permitted to demonstrate the
mechanism of thelytoky by terminal fusion automixis with inverted (postreductional)
meiosis in a functional context, and to present A. longisetosus as a promising
model system also for questions beyond the borders of the taxon chelicerata.