Inhaltszusammenfassung:
Die Soziologie, die Anthropologie und neuerdings auch die Ethnoarchäologie
beschäftigen sich immer häufiger mit nicht-sesshaften Bevölkerungsgruppen
im Alten Orient. Dabei stehen alte Texte, Survey-Daten und ethnologisches
Vergleichsmaterial als Arbeitsgrundlagen im Vordergrund. In der vorliegenden
Arbeit werden die oft vernachlässigten altorientalischen Bilddokumente
ausgewertet, welche - meistens aus der Perspektive der Sesshaften - nomadische
Gruppen abbilden.
Diese Bilddokumente werden in einem ersten Teil nach Grossregionen erfasst
und in ihren geopolitischen Kontext gestellt. In Ägypten gibt es eine gewisse
Tradition der Zusammenarbeit mit Nomaden als Viehzüchtern, Erzschürfern
oder Reiseleitern im Ausland und der Aufnahme solcher Gruppen in Hungerzeiten
. In den Zeiten ägyptischer Dominanz in Vorderasien herrscht jedoch
das Bild der barbarischen Feindesmasse vor, und Nomaden werden nur noch
als Söldner integriert. In Mesopotamien führen die di- und polymorphen
Zonen des Landes zu vielgestaltigen Interaktionen und besonders unter
assyrischer Vorherrschaft zu einer Situation des «permanenten Krieges»,
welche auf grossen Palastreliefs ihren Niederschlag finden. Während Nomaden
in diesen Zentren der sesshaften Kultur mehrheitlich als Negativfolie für
die Propaganda der eigenen Lebensart missbraucht werden, fliessen in den
Randregionen Syriens und Palästinas auch positive Elemente in die Kunst ein,
besonders im Motiv des auf einem Esel reitenden Fürsten, in Palmyra auch in
Gestalt nomadischer Sitten und Gebräuche.
Der zweite Tei I, der sich mit nomadischen Zeichen und Strukturen, aber auch
grösseren, für das Nomaden-Image aufschlussreichen Texteinheiten im Alten
Testament beschäftigt, macht deutlich, dass in Altisrael selber distanzierte
und intime Betrachtungen des Nomadentums möglich waren. Verantwortlich
dafür war die äusserst polymorphe Struktur des Landes. Am Rande einer
vorwiegend bäuerlichen Kultur mit wenigen kleinen, städtischen Zentren
waren immer Nomaden präsent, die in Zeiten kultureller Dekadenz als
Usurpatoren verlassener Landstriche an Bedeutung gewannen. Das Nomadentum
als Lebensideal gab es nicht. Der Einfluss seiner akephalen Sippenstruktur
war jedoch in vielen Lebensbereichen bestimmend. Man fühlte
sich mit nomadisierenden Stämmen der Nachbarschaft verwandt, betrachtete
andererseits aber eindringende Gruppen als Feinde.
Das Image der Nomaden erweistsich somit als sehrviel facettenreicher als das
bei uns noch vorherrschende Klischee umherziehender Hirten. Die daraus für
uns resultierenden terminologischen Unsicherheiten werden durch ikonographische
Anschaulichkeit kompensiert. Die nomadische Lebensweise wird
zudem durch die Deutung des Bildmaterials aus dem Dunkel der Geschichtslosigkeit
herausgerissen. Wie sich besonders anhand der Kameldomestizierung
und des Zeltbaus zeigen lässt, hat das Nomadentum für den ganzen
Orient bedeutsame Entwicklungen vorzuweisen.