Inhaltszusammenfassung:
„Das Humanexperiment in der medizinischen Forschung in der Diskussion der verfassten Ärzteschaft der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel des Deutschen Ärzteblatts von 1949-1978“
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, die Debatte über die Forschung am Menschen im Deutschen Ärzteblatt zu analysieren, um einen Beitrag zur Darstellung der bislang nur sehr unzureichend erforschten innerärztlichen Debatte über das Humanexperiment in der Bundesrepublik zu leisten. Die Untersuchung konzentriert sich darauf, welche Themen die innerärztliche Auseinandersetzung bestimmten, welche Diskussionsphasen sich voneinander abgrenzen lassen und inwiefern zeitgeschichtliche Ereignisse die Debatte beeinflussten. Zudem werden die Haltung, das publizistische Selbstverständnis und die Einflussnahme der Standeszeitschrift auf die Meinungsbildung innerhalb der Ärzteschaft beleuchtet.
Im Zeitraum von 1949 bis in die späten 1960er Jahre verweigerte sich die Ärzteschaft der Beschäftigung mit dem Humanexperiment nahezu vollständig. Sie befürchtete durch eine Thematisierung des Humanexperiments Assoziationen mit den Medizinverbrechen des „Dritten Reiches“ zu wecken und damit einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung zu erfahren.
Eine zweite Phase innerärztlicher Beschäftigung mit dem Humanexperiment setzte im Zuge der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse von „1968“ ein. Mit dem damit verbundenen Verlust der alleinigen Definitionsmacht der Ärzteschaft in medizinethischen Fragen wurde das Humanexperiment zunehmend Gegenstand innerärztlicher Auseinandersetzungen. Diese Entwicklung spiegelte sich in den Diskussionen über eine Reform der Berufsordnung oder die Novellierung des Arzneimittelgesetzes wieder.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Themenkomplex „Forschung am Menschen“ in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten eine Plattform für den Selbstfindungsprozess und die Neuausrichtung der deutschen Ärzteschaft vor dem Hintergrund der von deutschen Ärzten begangenen Medizinverbrechen war. Ein genuin ethischer Diskurs über das Humanexperiment findet sich im Deutschen Ärzteblatt nicht. Die Diskussion diente als Projektionsfläche binnenärztlicher Auseinandersetzungen über die berufspolitische Ausrichtung der Ärzteschaft. Damit wird deutlich, dass das Deutsche Ärzteblatt – entgegen seinem Selbstverständnis – in erster Linie als Organ zur Durchsetzung standespolitischer Interessen und nicht als offenes Diskussionsforum fungierte. Dies schließt innerprofessionelle Debatten über die ethischen Probleme des Humanexperiments an anderen Stellen keinesfalls aus, da sich die vorliegende Arbeit ausschließlich auf die Untersuchung des Deutschen Ärzteblatts konzentriert. Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass Generalisierungen über die Haltung der Ärzteschaft äußerst zurückhaltend bewertet werden sollten, da das Deutsche Ärzteblatt vornehmlich als das Sprachrohr seiner Herausgeber und nur sehr bedingt als das der gesamten Ärzteschaft angesehen werden kann.
Abstract:
„The inner-medical discussion about human experimentation in medical research in Germany in the journal “Deutsches Ärzteblatt” from 1949-1978”
The work in hand persues the objective to analyse the debate on human experimentation in medical research in the journal “Deutsches Ärzteblatt” to make a contribution to the description of the inner-medical discussion in Germany about human experimentation. The examination focuses on the main topics of the debate, the different phases of this debate and the historical incidents which influenced the development of the debate. Furthermore, the study examines the attitude, the journalistic self-conception and the influence of the journal on the inner-medical discussion.
From 1949 to the late 1960s, the medical profession avoided to deal with the problem of human experimentation. German doctors were afraid of being confronted with the medical crimes during the Third Reich and that their thematisation could lead to a massive loss of confidence in the population.
A second phase of inner-medical debate started after the socio-cultural change process of “1968”. The result of this social change was a loss of definatory power of the medical profession which enabled a broad discussion about human experimentation within the medical profession. This development is reflected in the discussion about the code of medical ethics or the revision of the German drug law.
In summary it can be said, that the issue of human experimentation in medical research was a platform for self-discovery and realignment of the German medical profession after the medical crimes of the Third Reich. There is no genuine ethical discourse about the human experimentation in the journal “Deutsches Ärzteblatt”. The discussion served as a projection surface for inner-medical arguments about the strategic direction of the German medical profession. In contrast to its journalistic self-conception, the journal “Deutsches Ärzteblatt” was no forum for discussion but an organ to enforce the interests of the German medical profession. That doesn’t exclude inner-medical discussions about the human experimentation in medical research at another point, because the work in hand only focuses on the mostly read medical journal in Germany. Furthermore, it has to be said, that generalisations about the attitude of the German medical profession should be evaluated extremely cautious, because the journal “Deutsches Ärzteblatt” firstly was the voice of its editors and only secondly the voice of the whole medical profession in Germany.