Inhaltszusammenfassung:
Seit den 1980er Jahren ist in Deutschland und anderen europäischen Ländern durch den Abbau wohlfahrtsstaatlicher Intervention, dem Anstieg der Einkommensungleichheit, einer stark heterogenen Zusammensetzung der Bevölkerung und Marktprozessen eine Verschärfung der sozialen Segregation zu erkennen. Die wachsende soziale Ungleichheit bildet sich vor allem in Städten unmittelbar in den sozialräumlichen Strukturen ab.
Um der drohenden Abwärtsspirale, der einige Gebiete ausgesetzt sind, Einhalt zu gebieten, wird seit einigen Jahren die Quartiersebene als geeigneter Ansatzpunkt gesehen, um mittels raumorientierten, integrativen Verfahren der fortschreitenden sozialen Spaltung entgegenzusteuern. Der Ausweisungsprozess von Programmgebieten, die Grundlage raumorientierter Ansätze sind, ist dabei als äußerst problematisch zu erachten.
Am Beispiel der Berliner Quartiersmanagementgebiete „Brunnenviertel-Ackerstraße“ und „Brunnenviertel-Brunnenstraße“ sowie den fast deckungsgleichen „Lebensweltlich orientierten Räumen“ -„Humboldthain-Süd“ und „Brunnenstraße“ wurde im Rahmen dieser Diplomarbeit der Programmgebietsausweisungsprozess nachvollzogen und anschließend die ausgewiesenen Gebiete mit den erfassten Quartiersgrenzen aus Sicht der Bewohner verglichen.
Nach dem Modell des „doppelten Gebietsbezuges“ von Thomas Franke (2011) sind Abweichungen zwischen den festgelegten Programmgebieten der „Verwaltungswelt“ und den sich verändernden Quartiersgrenzen der Bewohner („Alltagswelt“) wahrscheinlich.
Diese Unstimmigkeiten entstehen, entsprechend neueren Raumtheorien, aufgrund der subjektiven Raumkonstitution der Akteure. Der Raum wird nicht als etwas der Gesellschaft oder dem Individuum Externes angenommen, sondern ist als Ergebnis subjektiver Konstituierungsleistung zu begreifen. Die Unterschiede in der Lokalisierung der Akteure, deren Habitus und die entsprechenden Anlässe bei der Raumproduktion, enden letztlich in unterschiedlichen Räumen.
Bei der Betrachtung raumbezogener Ansätze wird zudem schnell die mangelnde Auseinandersetzung mit „Raum“ seitens der Verwaltungsakteure ersichtlich. Dieser spielt meist eine untergeordnete Rolle und die Bedeutung subjektiver Konstituierungsleistung wird kaum berücksichtigt.
Ziel dieser Diplomarbeit war es, die individuellen Quartiersgrenzen der Bewohner im Sinne einer Raumproduktion der Alltagswelt zu erfassen. Dabei wurden zuerst die beteiligten Akteure und die zu Grunde gelegten Kriterien bei dem Gebietsausweisungsprozess betrachtet, bevor die Quartiere aus Sicht der Bewohner mit den Räumen der Verwaltungswelt verglichen wurden. Die Diplomarbeit ist als Ergänzung zu der Dissertation „Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung“ von Thomas Franke zu verstehen und stellt letztlich das noch fehlende „Standbein“, die Alltagswelt des Modells des „doppelten Gebietsbezuges“, dar.
Zudem konnte ein empirischer Nachweis zu der Überlegung „Quartier als Fuzzy-Place“, also einem dynamischen Quartier mit unscharfen Grenzen, von Olaf Schnur (2008), gelingen.