Inhaltszusammenfassung:
Während der Evolution der Wirbeltiere ging die Entwicklung von räuberischer Ernährungsweise und wachsender Körpergröße mit der Entstehung vieler neuer Körperstrukturen einher. Zu diesen vertebratenspezifischen Strukturen gehört insbesondere die Entwicklung des Kopfes mit Schädel und Kiefer, die eine zentrale Rolle bei der massiven Zunahme der Formenvielfalt der Wirbeltiere gespielt hat. Die Neuralleiste, eine Anlage multipotenter embryonaler Zellen, die neu im Phylum der Chordatiere erscheint, ist die primäre ontogenetische Quelle für den Kopf der Wirbeltiere. Der Beitrag der Neuralleiste zur Bildung der Knochen des Kopfes wurde in unterschiedlichen Modellorganismen intensiv untersucht. Der neue Kopf der Vertebraten besteht neben dem Schädel, der das zentrale Nervensystem schützt, und dem Kiefer, der den Wasserstrom regelt und zum Fang der Beute dient, auch aus Kiemen, die als neues Atmungsorgan fungieren. Die Rolle der Neuralleiste bei der Entstehung der Kiemen, die eine entscheidende Vergrößerung der Oberfläche für den Gasaustausch darstellen, wurde bislang wenig untersucht. Insbesondere ist die embryologische Herkunft der Pillarzellen, welche die funktionale und strukturelle Basis der Kiemenlamellen bilden, noch unklar. Es wurde bisher angenommen, dass sie aus dem Seitenplattenmesoderm, den endothelialen Zellen oder der glatten Muskulatur entstehen.
Während meiner Doktorarbeit habe ich eine genetische, klonale Analyse durchgeführt, um den Beitrag der Neuralleiste an der Bildung adulter Strukturen, besonders der Kiemen, im Zebrabärbling zu untersuchen. Eine Tamoxifen-induzierbare sox10:ERT2-Cre-Linie wurde generiert. Mit dieser wurde in Neuralleistenzellen im embryonalen Stadium Cre/loxP-abhängige Rekombination in einem Reportergen induziert. Die resultierenden Klone markieren Neuralleistenzellen und ihre Nachkommen. In den Kiemen konnte ich eine Markierung primärer und sekundärer Kiemenlamellen nachweisen. Insbesondere wurden Pillarzellen, welche die Lamellen mechanisch unterstützen und kiemenspezifische Kapillaren bilden, markiert und damit gezeigt, dass diese von der Neuralleiste abstammen. Dieses Resultat zeigt, dass die Neuralleiste bei der Entwicklung der Kiemen eine wichtige Rolle spielt und direkt an der Evolution des effizienteren Atmungsystems der Wirbeltiere beteiligt ist.
Im Phylum der Chordaten haben Wirbeltiere die Fähigkeit entwickelt, mineralisiertes Knochengewebe, aus dem das Skelett besteht, zu bilden,. Dieses Skelett, das den Körper stützt, ermöglicht eine differenzierte Fortbewegung und beschützt auch die inneren Organe. Es besteht aus dem äußeren Dermalskelett und dem tiefergelegenen Innenskelett (Endoskelett). Knochen, die das Dermalskelett bilden (Hautknochen), entstehen nicht aus Knorpelgewebe, sondern durch dermale Ossifikation. Knochen des Endoskeletts (enchondrale Knochen) hingegen entwickeln sich aus vorgeformtem Knorpel und ersetzen ihn im Laufe der Entwicklung. Während der Evolution ist in den meisten Landwirbeltieren das postkraniale Dermalskelett verloren gegangen, lediglich die Dermalknochen des Schädels sind erhalten geblieben. Dagegen ist bei Fischen der Rumpf von Schuppen, die aus Dermalknochen bestehen, bedeckt. Strukturelle und ontogenetische Ähnlichkeiten mit den aus der Neuralleiste stammenden Zähnen und kranialen Hautknochen haben zur weitverbreiteten Annahme geführt, dass Schuppen auch aus der Neuralleiste entstammen und nicht aus dem Mesoderm, wie andere Teile des Neurokraniums und das axiale Endoskelett. Ich habe diese Hypothese durch genetische, klonale Analyse überprüft und herausgefunden, dass die durch sox10:ER-Cre hervorgerufenen Rekombinationen nicht zu einer wesentlichen Markierung von postkranialen dermalen Skelettelementen führen. Durch klonale Analyse mit einer mesodermspezifischen Cre-Linie sowie Transplantationsexperimenten und Transposon-basierter Markierung habe ich gezeigt, dass die schuppenbildenden Knochenzellen einen mesodermalen Ursprung haben. Damit konnte ich die bisher ungeprüfte Hypothese, dass Schuppen aus der Neuralleiste abstammen, widerlegen und zeigen, dass die knochenbildene Rolle der Neuralleiste auf Strukturen des Kopfes beschränkt ist.
Abstract:
During vertebrate evolution, the development of an active, predatory lifestyle and an increased body size coincided with the appearance of many morphological innovations. Among these vertebrate-specific phenotypic features, a major role in promoting the massive radiation of this animal group has been played by a new, true head. The neural crest (NC), an embryonic population of multipotent cells that first appears within the chordate phylum, is a major ontogenetic source for the vertebrate head and its contribution to the cranial skeleton has been intensively studied in different model organisms. However, this head is not exclusively formed by a skull protecting a centralized nervous system and a jaw for water influx control and prey capture, but also by gills that serve as a new respiratory organ. The role of NC in the expansion of the respiratory surface of the gills has been so far neglected. In particular, the embryonic origin of pillar cells, the functional and structural core of the gill filaments, is unclear, although it has been suggested that they may derive from the lateral plate mesoderm, from endothelial cells, or from smooth muscles.
During my doctoral studies, I used genetic lineage labeling to first address the contribution of NC to the gills of adult zebrafish. I generated a tamoxifen-inducible sox10:ERT2-Cre line and labeled NC cells by inducing Cre/loxP-dependent recombination at embryonic stages. In the gills, intriguingly, we observed labeled primary and secondary filaments. In particular, pillar cells, which mechanically support the filaments and form gill-specific capillaries, have a NC origin. This result points to a critical role of NC in facilitating more efficient gas exchange and thus uncovers a novel, direct involvement of this embryonic tissue in the evolution of respiratory systems during vertebrate evolution.
Within the phylum Chordata, vertebrates evolved also the ability to produce a mineralized skeleton, which represents along with the expanded gills another important innovation. This skeleton, which supports the body, allows locomotion, and protects internal organs, can be divided into a superficial dermal skeleton (integumentary skeleton) and a more internal endoskeleton. Bones forming the dermal skeleton (dermal bones) do not derive from cartilaginous tissues but form directly from intramembraneous ossifications; bones of the endoskeleton (endochondral bones), on the contrary, develop from pre-formed cartilage and replace it. While during tetrapod evolution and the conquest of land a post-cranial integumentary skeleton has been lost in many lineages and only the dermal bones of the skull were maintained, the trunk in fish remains covered by a large variety of diverse skeletal elements, which are generally referred to as 'scales'. Structural and ontogenic similarities with NC-derived teeth and cranial dermal bones have led to the widely accepted view that scales may derive from NC and not from mesoderm likewise parts of the neurocranium and the complete axial endoskeleton. I tested this hypothesis by Cre/loxP-based genetic labeling and found that sox10:ERT2-Cre-dependent recombination does not lead to substantial marking of post-cranial integumentary skeletal elements, suggesting a non-NC origin for these tissues. By using a mesoderm-specific Cre-driver line and performing transplantation experiments and transposon-mediated clonal analysis I found a mesodermal origin for scale-forming osteoblasts, thus i) supporting the notion of a non-skeletogenic trunk NC in vivo and ii) rejecting a long-standing, but not yet experimentally tested, influential assumption.