Rekodieren im Deutschen und Englischen: Wie rekodieren Englischlerner/-innen mit deutscher Muttersprache englische Wörter?

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Zitierfähiger Link (URI): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-56403
http://hdl.handle.net/10900/49535
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2011
Sprache: Deutsch
Fakultät: 7 Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich: Psychologie
Gutachter: Landerl, Karin (Prof. Dr.)
Tag der mündl. Prüfung: 2011-04-01
DDC-Klassifikation: 150 - Psychologie
Schlagworte: Fremdsprachenlernen , Lesekompetenz , Leseunterricht , Englischunterricht , Schriftsprache
Freie Schlagwörter: Fremdspracherwerb , Englisch als Fremdsprache
Foreign language acquisition , English as a foreign language , Reading instruction , Orthographic system
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

In den klassischen Lesemodellen wie dem Zwei-Wege-Modell oder dem konnektionistischen Modell wird davon ausgegangen, dass das Rekodieren in allen Orthographien vergleichbar erfolgt. Empirische Befunde sprechen jedoch dafür, dass das Rekodieren von Merkmalen der jeweiligen Orthographie beeinflusst ist. Insbesondere die Konsistenz einer Orthographie scheint bedeutsam für Rekodierprozesse zu sein. Nur wenige Theorien und Modelle berücksichtigen allerdings diese Interdependenz: die Theorie der orthographischen Tiefe von Katz und Frost (1992), die psycholinguistic grain-size-Theorie von Ziegler und Goswami (2005) und – ein Modell, das die Inkonsistenz des Englischen berücksichtigt – das Zwei-Zyklen-Modell von Berent und Perfetti (1995). Empirische Befunde sprechen dafür, dass englische Muttersprachler/-innen andere (zusätzliche) Rekodierstrategien verwenden als deutsche Muttersprachler/-innen. Nach der grain-size-Theorie von Ziegler und Goswami (2005) rekodieren deutsche Leser/-innen unbekannte Wörter mit Hilfe einer simplen Graphem-Phonem-Zuordnung, während englische Leser/-innen auch größere Einheiten, insbesondere Anlaute und Silbenreime berücksichtigen. Mit Hilfe von Anlauten und Silbenreimen können Analogien zu unbekannten Wörtern gezogen werden. Nach dem Zwei-Zyklen-Modell (Berent & Perfetti, 1995) berücksichtigen englische Muttersprachler/-innen in einem ersten Schritt nur das Konsonantengerüst des zu lesenden Wortes und erst in einem zweiten Zyklus, der sehr viel langsamer und kontrollierter abläuft als der erste, fügen sie die Vokale ein. In der Englischdidaktik finden solche Befunde bislang nur selten Berücksichtigung. Im Allgemeinen bleibt das Vorwissen, das deutsche Englischlerner/-innen hinsichtlich des Lesens aus dem Deutschen in den Englischunterricht mitbringen, unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Strategien deutsche Englischlerner/-innen beim Rekodieren englischer Wörter verwenden. Unklar ist, ob sie das ihnen aus dem Deutschen bekannte serielle Rekodieren beibehalten oder ob sie zusätzliche Strategien, wie z. B. das Rekodieren mit Hilfe von Analogien oder die besondere Berücksichtigung der Konsonantenstruktur lernen. In zwei Studien wird diesen Fragen nachgegangen. In der ersten Studie steht das Rekodieren nach der grain-size-Theorie im Vordergrund, während in der zweiten Studie das Zwei-Zyklen-Modell auf sein Zutreffen bei deutschen Englischlernern/-lernerinnen überprüft wird. Hierzu wurden Schüler/-innen der 5., 7. und 9. Klasse eines Gymnasiums sowie Studierende gebeten, englische und deutsche Pseudowörter und Wörter zu lesen. Lesegeschwindigkeit und -genauigkeit dienen als Grundlage für die Bestimmung der Rekodierstrategie. Nach der grain-size-Theorie sollten sich die verwendeten Rekodierstrategien in den Wechselkosten beim Lesen von Pseudowörtern mit und ohne orthographische Nachbarn, die entweder gemischt oder blockweise dargeboten werden, zeigen. Auch der Wortlängeneffekt kann als Hinweis für die verwendete Rekodierstrategie gelten – er entsteht bei seriellem Rekodieren. Es zeigt sich, dass deutsche Englischlerner/-innen mit zunehmender Expertise im Englischen größere Einheiten berücksichtigen (der Wortlängeneffekt wird geringer), während sie im Deutschen weiterhin kleine Einheiten zum Rekodieren heranziehen (der Wortlängeneffekt bleibt bestehen). Die Wechselkosten werden im Englischen nicht wie erwartet mit zunehmender Expertise größer, vielmehr fällt es den Jugendlichen der 7. und 9. Klasse leichter, wenn die Pseudowörter mit und ohne orthographische Nachbarn gemischt anstatt blockweise dargeboten werden. Dies lässt vermuten, dass Jugendliche, wenn sie das Rekodieren mit Hilfe von Analogien im Englischen kennen gelernt haben, anfangs Schwierigkeiten haben, die zielführende Rekodierstrategie auszuwählen und die jeweils andere auszublenden. Dies wird erst mit einem gewissen Maß an Expertise möglich. Das Zwei-Zyklen-Modell wurde mit Hilfe eines Priming-Paradigmas überprüft. Sollte in einem ersten Schritt ein Konsonantengerüst entstehen, müssten kurzzeitig dargebotene Informationen über die im Zielwort enthaltenen Konsonanten das Rekodieren des Zielwortes erleichtern. Vokalgleiche Primes sollten nur bei relativ langer Darbietung des Primes das Rekodieren des Zielwortes vereinfachen. Die Ergebnisse zeigen, dass deutsche Englischlerner/-innen nicht in zwei getrennt voneinander ablaufenden Zyklen rekodieren. Vielmehr scheint in einem ersten Schritt eine deutsche Phonemfolge zu entstehen, von der im Normalfall nur die Konsonanten für die englische Aussprache verwendet werden können. Für die Englischdidaktik bedeuten die Ergebnisse, dass das Vorwissen aus dem Deutschen nicht ausgeblendet werden kann, sondern dass es als Grundlage für die Vermittlung der Rekodierstrategien verwendet werden sollte. Ausgehend von diesem Vorwissen könnten Rekodierstrategien im Deutschen und Englischen bewusst gemacht werden.

Abstract:

Conventional reading models, such as the dual-route-model or the connectionist model assume that recoding is the same in all orthographies. Empirical results, however, show that recoding is influenced by characteristics of orthography. In particular, the consistency of an orthography seems to play a central role in recoding. There are only few theories or models that take these results into account: the orthographic-depth-hypothesis (Katz & Frost, 1992), the psycholinguistic grain-size-theory (Ziegler & Goswami, 2005) and the two-cycles-model (Berent & Perfetti, 1995) which takes into account the inconsistency of English orthography. The empirical evidence behind these theories and models is different, but the results suggest unanimously that native English speakers use different (additional) recoding strategies to German native speakers. According to the grain-size-theory (Ziegler & Goswami, 2005) German readers recode new words using a grapheme-phoneme-mapping, whereas English readers also have to take into account larger units, such as onset and rime. Using onsets and rimes, they can form analogies to new words. The two-cycles-model (Berent & Perfetti, 1995) assumes that English natives initially only process the consonants of a word and integrate the vowels only in a second cycle that is slower and more controlled than the first. Such results are not taken into consideration in didactics of English as a second language very often. In general, prior knowledge based on German learners’ experience of learning their own language is excluded from the English language instruction. Moreover, relevant recoding strategies are not topics in English instruction, nor used in English language training, even though preliminary applications and didactical concepts exist. In light of this, the question arises, which strategies German learners of English use to recode English words. It is not clear whether they continue using the strategy they used for German – serial recoding – or if they learn new strategies, such as recoding using analogies or using the consonants for orientation. These questions are explored in two studies. The first study focuses on recoding according to the grain-size-theory, the second study tests the two-cycles-model with German learners of English. For this purpose, students of grades 5, 7 and 9 of a Gymnasium (Grammar school) and students of a university were asked to read English and German pseudowords and words. The recoding strategies were identified based on reading speed and accuracy. According to the grain-size-theory, switching costs when reading pseudowords with and without orthographic neighbours in mixed lists (compared to blocked lists), should emerge when readers switch between recoding strategies. The word-length-effect, which occurs with serial recoding, can also be used as an indicator for the recoding strategy being employed. Results show that more experienced German learners of English take into account larger units when reading English pseudowords than less experienced learners (the word-length-effect is reduced with more experience) whereas small units were used to recode German pseudowords (word-length-effect is not affected by experience level). Switching costs are not reduced with higher experience levels as expected, but students in grades 7 and 9 grade read pseudowords more easily both with, and without, orthographic neighbours, when they are presented in mixed lists rather than in blocked lists. These results suggest, that students with little experience in English learned to recode using analogies, but initially had difficulties in choosing the relevant strategy and suppressing the other one. This ability emerges with more experience in English. The two-cycles-model was tested using a priming-paradigma. If consonants are processed first and faster than vowels, rapidly presented information about the consonants in target words should facilitate reading. Primes with the same vowels as the target should only facilitate reading when presented for a relatively long period. According to the results of this study, German learners of English do not process consonants and vowels in different cycles. The results suggest that in a first step the graphemes are translated into German phonemes – in general only the consonants of these phonemes can be used for the English pronunciation. Consequently, the didactics of English as a second language (for German learners), should to take into account the prior knowledge about reading in German, and use it as basis for teaching recoding strategies in English. Teachers of English as a second language should be made aware of these different recoding strategies in German and English.

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