Inhaltszusammenfassung:
Das Reizdarmsyndrom ist eine der häufigsten Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts und durch vielfältige Symptome unterschiedlicher Pathogenese gekennzeichnet. Dabei steht eine gestörte Motilität, die zum einen durch Störungen des enterischen Nervensystems, zum anderen auf reflektorischem Weg durch eine erhöhte Sensibilität, aber auch durch inflammatorische Prozesse hervorgerufen sein kann, im Vordergrund. In der Therapie des Reizdarmsyndroms werden häufig Phytotherapeutika eingesetzt, so dass in der vorliegenden Arbeit die Wirkungen von Iberogast® (STW 5) und seinen neun Einzelextrakten auf die spontane endogene Peristaltik und auf die durch verschiedene Neurotransmitter modulierte Kontraktilität untersucht wurden. Zusätzlich wurde der Frage nachgegangen, inwieweit Homöopathika, die bei gastrointestinalen Beschwerden Anwendung finden, Wirkungen auf den Darm erzielen. Dabei wurden jedoch Regeln der Homöopathie nicht beachtet.
Für diese in vitro Untersuchungen wurden im Organbad phasische und induzierte tonische Kontraktionen longitudinaler Ileumpräparate der Maus gemessen und nach Amplitude, Frequenz und Tonus ausgewertet.
Für STW 5 und alle Extrakte wurden in Messungen der spontanen Kontraktilität dosisabhängig inhibierende Effekte auf die Amplitude und Frequenz gefunden, wobei Pfefferminz, Kamille und Angelikawurzel die stärksten, Schöllkraut und Iberis amara die schwächsten Wirkungen zeigten. Da nur Pfefferminz und Kamille stärker wirksam waren als STW 5, sind additive bzw. synergistische Effekte zwischen den einzelnen Extrakten anzunehmen. Die Untersuchung des Forschungspräparats STW5-Ibe, welches sich von STW 5 nur durch einen Mangel an Iberis amara unterscheidet, scheint dies zu bestätigen, da die motilitätshemmende Wirkung deutlich schwächer im Vergleich zu STW 5 ausfiel. Erklärungen für die den Synergien zugrunde liegenden Mechanismen bedürfen weiterer Studien.
Die homöopathischen Tinkturen aus Asa foetida, Lachesis und Magnesium chlorat. reduzierten die Amplitude der spontanen Motilität signifikant, gefolgt von Chamomilla, Colocynthis und Lycopodium. Für Ignatia wurde kein Effekt gefunden. Damit zeigen sowohl die Phytotherapeutika als auch die meisten der untersuchten Homöopathika, dass sie prinzipiell in der Lage sind, die gastrointestinale Motilität zu beeinflussen, was generell auf beschriebene Wirkungen der Inhaltsstoffe zurückgeführt werden kann.
Aus der Überlegung, dass die Darmmotilität über myogene und neuronal über reflektorische und zentrale Mechanismen moduliert wird, sollte im Weiteren der Frage nachgegangen werden, inwieweit STW 5 und die Einzelextrakte auf Neurotransmitter-stimulierte Kontraktilität Einfluss nehmen. Als Neurotransmitter bzw. -Modulatoren wurden verwendet: Acetylcholin, Prostaglandin F2alpha, Substanz P und Neurotensin. Die Applikation von Acetylcholin am Maus-Ileum rief dosisabhängig tonische Kontraktionen, verbunden mit einer verminderten Spontanperistaltik hervor. Bei gleichzeitiger Applikation von Acetylcholin und Extrakt konnten Pfefferminz, Kamille, Angelikawurzel und Mariendistel sowie das zum Vergleich eingesetzte Butylscopolamin den Tonus signifikant hemmen. In einem zweiten Messprotokoll wurden die Ileumpräparate bereits vor ACh-Stimulation mit den Extrakten vorbehandelt. Nun zeigte auch STW 5 einen inhibierenden Effekt auf die tonische Kontraktion. Die phasische Spontanrhythmik wurde in diesem Modell stärker vermindert. Ob dies auf eine verbesserte Erreichbarkeit möglicher Wirkungsorte durch Diffusion oder auf Eingreifen pflanzlicher Inhaltsstoffe in metabotrope Reaktionen zurückzuführen ist, bleibt offen. Prostaglandin F2alpha fördert im Ileum die Motilität durch gesteigerte Kontraktilität der longitudinalen und zirkulären Muskelschichten, gleichzeitig spielt Prostaglandin F2alpha auch pathogenetisch eine Rolle im Inflammationsgeschehen. Die Applikation am Ileum induzierte eine signifikante tonische Kontraktion mit verstärkter phasischer Rhythmik. Die Extrakte, insbesondere Kamille, Angelikawurzel, Pfefferminz, Süßholzwurzel und Mariendistel, reduzierten diese Stimulation, wobei ein Synergie-Effekt bezüglich der Tonus-hemmenden Wirkung anzunehmen ist. Ein möglicher Mechanismus der stark wirksamen Extrakte können Calcium-antagonistische Effekte und eine Hemmung der cAMP- und cGMP-Phosphodiesterasen sein.
Substanz P nimmt sowohl direkt uber Aktivierung von Neurokinin-Rezeptoren als auch indirekt über die Stimulation cholinerger Neurone Einfluss auf das peristaltische Geschehen. Dies zeigte sich in den in dieser Arbeit gefundenen Ergebnissen durch eine tonische Kontraktion mit vergrößerter phasischer Spontanrhythmik. STW 5 inhibierte die Amplitude, nicht aber den induzierten Tonus, dagegen reduzierte das zum Vergleich untersuchte Butylscopolaminbromid nur die tonische Komponente. Dies führte zur Annahme, dass der Tonus möglicherweise bevorzugt über eine Freisetzung kolokalisierter Neurotransmitter vermittelt wird, deren Wirkung Butylscopolaminbromid inhibieren konnte. Dagegen wird für STW 5 eher eine Interaktion auf Rezeptorebene vermutet.
Die Applikation des Neuromodulators Neurotensin bewirkte eine transiente Relaxation der Ileumpräparate, verbunden mit einer vorübergehenden signifikanten Reduzierung der phasischen Amplitude. STW 5 inhibierte die Neurotensin-induzierte Relaxation und führte zu einer persistent verminderten Amplitude der phasischen Kontraktionen. Diese Wirkung beruht möglicherweise auf einer Hemmung calciumabhängiger Kaliumkanäle, die bei Aktivierung eine Nachhyperpolarisation und damit eine sinkende Calcium-Konzentration auslösen.
Obwohl definitionsgemäß das Reizdarmsyndrom als funktionelle Störung ohne Organbefund erklärt wird, spricht vieles dafür, dass oxidativer Stress und inflammatorische Prozesse zur Pathogenese des Reizdarmsyndroms beitragen. In Untersuchungen am Ileum von Glutathionperoxidase1(-/-)-Mäusen sollten daher Zusammenhänge zwischen oxidativem Stress, der Peroxidentgiftung und der Wirkung der pflanzlichen Extrakte untersucht werden. Dafür wurde einerseits in Messungen der Luminolverstärkten Chemilumineszenz die Wirkung von STW 5 auf die H2O2- und die tertiär-Butylhydroperoxid-stimulierte Radikalproduktion gemessen, andererseits wurden die Effekte der Extrakte auf die Peroxid-stimulierte Kontraktilität untersucht. STW 5 konnte die H2O2- bzw. die tBHP-induzierte Radikalbildung signifikant reduzieren, wobei in den GPx1-KO-Präparaten aufgrund verminderter Peroxidentgiftung ca. doppelt so viele Radikale im Vergleich mit den WT-Proben gebildet wurden. In den Kontraktionsmessungen zeigte H2O2- bzw. tBHP-Applikation bei den beiden Genotypen ähnliche Dosis-Wirkungs-Beziehungen, während unter H2O2-Stimulation eine ca. 100mal höhere Radikalproduktion auftrat als bei tBHP. Oxidativer Stress bewirkt demnach zwar eine verstärkte Kontraktion, jedoch scheint die Intensität der gestörten Motilität nicht abhängig zu sein von der Gesamtmenge der induzierten Radikale. Der bei beiden Peroxiden gemeinsame, kontraktionsfördernde Signalweg muss durch weitere Untersuchungen erforscht werden.
Die pflanzlichen Extrakte, besonders Pfefferminz, Kamille und Angelikawurzel, reduzierten die durch die Peroxide hervorgerufene tonische Kontraktion sowie die phasische Spontanrhythmik. Bei Anwendung von STW 5 konnten synergistische Effekte der Extrakte erneut beobachtet werden, wobei diese erwartet wurden, da bereits überadditive Wirkungen sowohl für die antioxidative Kapazität als auch für die Hemmung der Motilität gefunden wurden.
An humanen Ileumpräparaten wurden, soweit möglich, erste orientierende Versuche durchgeführt, die darlegten, dass STW 5 die phasische Kontraktilität reduzieren kann. Darüber hinaus wurde in Chemilumineszenzmessungen deutlich, dass humanes Ileum, wahrscheinlich abhängig von lokalen Entzündungsreaktionen, als sehr aktive Quelle für freie Radikale angesehen werden muss, und dass STW 5 in der Lage ist, diese Radikale abzufangen.
Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die untersuchten Phytotherapeutika einerseits modulierend auf die endogene bzw. auf die Neurotransmitter-beeinflusste Darmmotilität wirken und andererseits zu einer signifikanten Hemmung von in der Darmwand produzierten freien Radikalen führen. Dieses Wirkungsspektrum könnte durchaus auch einer pharmakologischen Therapie des Reizdarmsyndroms mittels STW 5 zugrunde liegen.
Abstract:
Irritable bowel syndrome is a functional disorder the pathophysiology of which is mainly characterized by gastrointestinal motility disturbances due to dysfunction of enteric nerve system, visceral hypersensitivity and inflammtion processes. Herbal remedies are commonly used in treatment of irritable bowel syndrome. Therefore the effects of STW 5 and its nine phytotherapeutical constituent extracts on spontaneous contractile peristalsis of ileum of mice as well as on modulated motility induced by acetylcholin, prostaglandin F2a, substance P and neurotensin were demonstrated in this study. Longitudinal smooth muscle strips of mouse ileum, exhibiting spontaneous peristaltic contractions, served as a model. Inhibiting effects on spontaneous and induced intestinal motility have been shown for all plant extracts dose-dependingly, especially the extracts made of peppermint leaves, chamomile flowers and angelica root, respectively, revealed strong spasmolytic characteristics.
In addition, effects of herbal extracts on hydroperoxide induced changes of motility of ileum of wild type and glutathionperoxidase1(-/-) mice were examined. Furthermore, their antioxidative effects on free radical production were determined. Again, extracts made of peppermint leaves, chamomile flowers and angelica root, respectively, and STW 5 itself have been provided as most effective.
The different extracts and individual components of STW 5 intervene in a complex manner in physiological mechanisms of gastrointestinal peristalsis, thus probably contributing to therapeutical application.