Inhaltszusammenfassung:
Die Beckenbodenmuskulatur spielt eine kritische Rolle beim Erhalt der Harnkontinenz. Sie schließt das kleine Becken nach kaudal ab, verhindert das Absinken der Beckenorgane und bewahrt somit die topographischen anatomischen Verhältnisse. Verringert also die Beckenbodenmuskulatur ihren Muskeltonus, kann dies eine Stressinkontinenz zur Folge haben. Stressinkontinenz wird als Harnverlust bei insuffizientem Harnröhrenverschluss unter Belastung bei unauffälliger Blasenmotorik definiert. Patienten mit Stressinkontinenz klagen über unwillkürlichen Urinabgang ohne Harndranggefühl bei körperlicher Belastung, z.B. Husten oder Niesen. In einer großen Zahl von Patientinnen mit Stressinkontinenz ist eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur erkennbar. Bei diesen Patientinnen scheinen physiotherapeutische Ansätze, die eine Stärkung der Beckenbodenmuskulatur zum Ziel haben, den Behandlungserfolg zu begünstigen. Die Muskulatur des Beckenbodens enthält eine gestreifte und daher willkürliche Komponente, und ist daher auf dem Kortex repräsentiert. Methode. In dieser Studie wurden die neuroplastischen Änderungen nach Beckenboden-Training mit Biofeedback durch funktionelle Magnetresonanz (fMRI) untersucht. Psychologische und psychosoziale Aspekte, wie krankheitsbedingte Lebensqualität, psychologisches Unbehagen, biopsychosoziale Komplexität und Placebo-Variabeln wurden ebenso erhoben.
An der Studie nahmen 10 Stressinkontinenz-Patientinnen und 10 gesunde Probandinnen Teil. Die Probandinnen waren nach Alter, Anzahl der Schwangerschaften und Händigkeit mit den Patientinnen der Experimentalgruppe parallellisiert. Experimentelle Durchführung: Gesunde Probandinnen und Stressinkontinenz-Patientinnen nahmen an einer ersten fMRI-Sitzung Teil. Unmittelbar danach unterzogen sich die Stressinkontinenz-Patientinnen an einem 12-wöchigen Beckenboden-Training mit Biofeedback. Nach Abschluss des Trainings nahmen die Stressinkontinenz-Patientinnen an einer zweiten fMRI-Sitzung Teil, während die Follow-up Phase 6 Monate später erfolgte. Die fMRI Sitzung bestand aus 3+1 Blöcken. In den ersten drei Blöcken hatten die Probandinnen die Aufgabe, die Beckenbodenmuskulatur anzuspannen bzw. zu entspannen. Während des vierten Blocks, der als Kontrollbedingung diente, mussten sie die rechte Faust ballen. Ergebnisse. Neuropsychologische Ergebnisse: Der direkte Vergleich von Stressinkontinenz-Patientinnen und gesunden Probandinnen ergab eine fokussiertere Topographie auf dem primär-motorischen Kortex und auf dem somatosensorischen Kortex sowie eine Reduzierung der Aktivierung auf dem prämotorischen Kortex und auf dem supplementär-motorischen Areal bei Stressinkontinenz-Patientinnen. Signifikant erhöhte Aktivierung konnte auch in der Insula und im rostralen Gyrus Cinguli anterior gezeigt werden. Diese sind an der viszeralen Wahrnehmung, an der Aufmerksamkeit bei Erwerb von neuen Fertigkeiten sowie an emotionelle Aktivierung bei der Miktion beteiligt.
Psychologische und psychosoziale Ergebnisse: Die Besserung der Symptomatik führte zu einer Besserung der Lebenqualität, aber nicht zu einer gleichzeitigen Besserung des psychischen Befindens, wobei biopsychosoziale Komplexität eine negative Rolle auf Lebensqualität und psychisches Befinden zeigte. Eine markante Diskrepanz zwischen Erwartung in die Therapie und Zufriedenheit-Weiterempfehlung der Therapie konnte nachgewiesen werden. Diskussion. Diese Daten weisen darauf hin, daß das Zurückgewinnen der Kontinenz bei Stressinkontinenz von einer erhöhten muskulären Stärke des Beckenbodens und von einer fokussierteren zerebralen Aktivierung bezüglich der zentralen motorischen Kontrolle der Beckenboden-Muskulatur abhängt. Zur Zeit bleibt die Evaluierung der klinischen Besserung nach Beckenbodentraining immer noch kontrovers, weil es keine allgemein angewandte Kriterienauswahl gibt, die die klinische Besserung definiert. Bildgebende Verfahren wie fMRI könnten daher angewendet werden, um die kortikale Repräsentation der Beckenboden-Muskulatur zu untersuchen und um als Prädiktor für die klinische Besserung nach Beckenboden-Training sowie als objektive Maßnahme zur Dokumentation des klinischen Outcomes eingesetzt zu werden. Darüber hinaus trägt das Beckenboden-Training mit Biofeedback wahrscheinlich zur Reorganisation der miktionsbedingten zerebralen Aktivierung bei, indem es die Aktivierung des rostralen Gyrus Cinguli anterior bei der Beckenboden-Muskulatur Kontraktion reduziert. In Bezug zu den psychosozialen Aspekten zeigen unsere Daten, dass ein Programm zur Behandlung der Harninkontinenz, das sich ausschliesslich auf das Beckenboden-Training fokussiert zu einer zumindest vorläufigen Abnahme der Harninkontinenz-Episoden führt. Dennoch werden auf diese Art Aspekte wie Motivation, Zufriedenheit mit der Therapie sowie krankheitsbedingtes psychisches Unbehagen, die für die klinische Besserung unabdingbar sind, kaum berührt. Während zahlreiche konservative Maßnahmen zur Verfügung stehen, die rein symptomatisch die Harninkontinenz behandeln, fehlen zur Zeit ausgearbeitete verhaltensmedizinische Programme zur Behandlung der Harninkontinenz, die eine begleitende psychologische Betreuung beinhalten. Durch das in dieser Studie gewonnene Wissen kann zukünftig die Entwicklung von objektiven Tests, einschließlich bildgebender Verfahren zur Evaluierung der klinischen Besserung nach Beckenbodentraining sowie ein umfassendes verhaltensmedizinisches Programm zur Behandlung der Stressinkontinenz angestrebt werden.
Abstract:
Stress Urinary Incontinence (SUI) is defined as an involuntary loss of urine during sudden increases in intraabdominal pressure such as during coughing, laughing, sneezing or exercise. SUI is often a consequence of weakness of the pelvic floor and poor mechanical support of the vesicourethral sphincteric unit. The sphincteric mechanism increases urethral resistance during stress and thus prevents leakage. In women SUI is often associated with the number of pregnancies and vaginal deliveries. The treatment of choice of SUI consists of pelvic floor muscle training (PFMT) which consists of repetitive contractions to strengthen the pelvic floor muscles. The striated muscle of the bladder sphincter is part of the pelvic floor which is activated during voluntary contraction of pelvic floor muscles. Previus brain-imaging studies have highlighted complex patterns of cerebral activation during pelvic floor muscle contractions. Methods. The goals of this study were to investigate neuroplastic changes of cortical representation of pelvic floor motor functions induced by a 12-week PFMT program with biofeedback in patients with Stressinkontinenz, by means of functional magnetic resonance imaging (fMRI). Moreover psychological and psychosocial variables such as illness-related quality of life and psychological distress, biopsychosocial complexity and placebo-effects were ascertained. Subjects Ten female subjects with a history of genuine SUI and ten healthy subjects were included in the study. All healthy subjects were matched according to age, parity and handedness.
Task: All subjects partecipated in a first fMRI session. After that SUI patients underwent a 12-week PFMT program with biofeedback and took part in a second fMRI session at the end of the training. A follow-up session took place 6 months later. The fMRI session consisted of 3+1 blocks. In the first three blocks subject were instructed to rhythmically contract their pelvic floor muscles while in the fourth block, a control movement (fist clenching) was performed to control for unspecific effects between pre- and post-measurement. Results. Neuropsychological results: By direct comparison of SUI-patients and healthy subjects, SUI-patients showed a more focused brain activity in primary motor cortex and somatosensory cortex as well as a reduced brain activity in the supplemantary motor area. Significant brain activation was also seen in the insula as well as in the anterior cingulate gyrus.
Psychological and psychosocial results: Symptom reduction was associated with an improvement of illness-related quality of life but not with an improvement of illness-related psychological distress, while a negative association between biopsychosocial complexity and illness-related quality of life and psychological distress could be shown. A pronounced discrepancy between treatment expectations and treatment satisfaction/treatment recommendation was also observed. Discussion. These findings show that PFMT with biofeedback may not only improve muscular strength therefore enhancing support of the urethra but also optimize central muscular control of the pelvic floor, modulate bladder sensation as well as reflect the emotional neutralisation related to symptom reduction through a reduction of cingulate cortex activation. From this point of view brain imaging methods may be used to examine cortical representation, to predict clinical outcome of PMFT and contribute to document clinical outcome of these treatments in a more etiology based approach. Data regarding psychological and psychosocial aspects show that programs focusing on muscular training alone may reduce urinary symptoms if only for limited time. On the other hand components like motivation or treatment satisfaction play an important role on long-term clinical outcome and are often overlooked. A future goal in urinary continence treatment may therefore be the development of behavioral programs specially adressing these aspects.