Inhaltszusammenfassung:
Zu den wesentlichen Basiserkenntnissen der modernen Kriminologie gehört die Einsicht, daß Kriminalität zwar äußerlich und metaphorisch durch den Bruch von Rechtsnormen definiert ist1, daß sie sich aber tatsächlich in einem oft komplizierten Geflecht verschiedenartiger Normen vollzieht. Insbesondere ist die rechtssoziologische Erfahrung wichtig geworden, daß illegale Handlungen in vielen Fällen nicht primär gegen Normen vollbracht werden, sondern in Übereinstimmung mit, ja zur nachdrücklichen Bestätigung v o n gruppen- oder milieuspezifischen Normen.2 Die sogenannte Rechtliche Volkskunde verdankt diesem Sachverhalt, zugespitzt gesagt, geradezu ihre Existenz; zumindest hat sie immer wieder Fälle aufgegriffen, die zeigten, daß es neben
dem kodifizierten Recht und gegen das kodifizierte Recht andere Rechtsnormen (oder ,Rechts'normen) gibt, die ihre Verbindlichkeit aus ungeschriebener, meist lokaler oder regionaler Tradition ableiten. Die Rechtliche Volkskunde hätte so geradezu zu einem wichtigen Bestandteil der Kriminologie und der Rechtssoziologie werden können. Daß sie es nicht wurde (und dies muß trotz einiger fruchtbarer Querverbindungen doch wohl gesagt werden), liegt möglicherweise an dem lange Zeit vorherrschenden selektiven Verfahren, das auf angeblich oder wirklich archaisches Volksrecht ausgerichtet war und so eine generalisierende Analyse kaum erlaubte. Erst die jüngeren, breitgefächerten Materialsammlungen und -Interpretationen geben einen historischen Hintergrund ab, von dem sich Linien zur neueren Kriminologie ziehen lassen; der bisher nicht oder kaum geleistete Transfer vom Haberfeldtreiben zu delinquenten jugendlichen Subkulturen rückt so in den Bereich des Möglichen.