Verletzungsmanagement im Spitzensport. Eine systemtheoretisch-konstruktivistische Analyse mit Fallstudien aus den Sportarten Leichtathletik und Handball.

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Zitierfähiger Link (URI): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-42946
http://hdl.handle.net/10900/47675
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2009
Sprache: Deutsch
Fakultät: 6 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich: Sportwissenschaft
Gutachter: Thiel, Ansgar (Prof. Dr.)
Tag der mündl. Prüfung: 2009-09-14
DDC-Klassifikation: 796 - Sport
Schlagworte: Sportverletzung , Schmerz , Entscheidung , Soziologie , Leistungssport
Freie Schlagwörter:
Playing hurt , Return to play , Elite sports , Sociology , Decision
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Problemstellung Schmerzen, Beschwerden und Verletzungen sind ein alltägliches Phänomen im Spitzensport. Ausgehend von Hinweisen auf einen aus medizinischer Sicht höchst problematischen Umgang mit Schmerzen und Verletzungen durch Athleten und ihr Umfeld werden in der vorliegenden Arbeit Möglichkeiten und Grenzen eines ganzheitlichen Verletzungsmanagements im Spitzensport beleuchtet. Dabei stehen Fragen der verletzungsbezogenen Entscheidungspraxis und ihrer psychosozialen Entscheidungsbedingungen im Mittelpunkt. Obwohl diese Thematik eine hohe Relevanz für die spitzensportliche Praxis besitzt, ist die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der Diagnose, Behandlung und Prävention von Sportverletzungen bislang unzureichend. Theoretischer Zugang Vor dem Hintergrund eines komplexen Gegenstandsbereichs setzt sich die Arbeit auf Basis eines systemtheoretisch-konstruktivistischen Zugangs mit dem Forschungsproblem auseinander. Dabei wird insbesondere auf entscheidungs-, management- und konflikttheoretische Ansätze zurückgegriffen. Aufbauend auf methodologischen Vorüberlegungen erfolgt im ersten Teil der Arbeit die Ausarbeitung eines mehrperspektivischen Erklärungsmodells zum Verletzungsmanagement im Spitzensport. In diesen Rahmen werden die zentralen Begrifflichkeiten Schmerz, Beschwerden, Verletzung und Gesundheit erläuternd eingebunden und spezifische verletzungsbezogene Entscheidungen und Entscheidungsbedingungen ausdifferenziert. Neben individuellen Entscheidungsbedingungen aus Perspektive von Athleten, Ärzten und Trainern wird der Fokus vor allem auf die „Sozialität“ des Entscheidens im Spitzensport gerichtet. Hier stehen die Entscheidungskommunikation und deren Bedingungen in organisierten Interaktionssystemen im Mittelpunkt. Überlegungen zu verletzungsbezogenen Konflikten und Konfliktpotentialen sowie zu möglichen Ansatzpunkten für ein ganzheitliches Verletzungsmanagement in Spitzensportorganisationen schließen die theoretischen Überlegungen ab. Methodisches Vorgehen Um die mit dem Auftreten von Schmerzen und Verletzungen verbundene Entscheidungspraxis sowie relevante psychosoziale Entscheidungsbedingungen empirisch zu erfassen, werden Verletzungsbiografien von vier ausgewählten Spitzenleichtathleten und -handballspielern rekonstruiert und durch fallspezifische Perspektiven von Trainern und Ärzten ergänzt. Zur Anwendung kommt dabei eine grafisch gestützte Kombination von biografischem und problemzentriertem Interview, Mind-Mapping und der dokumentarischer Methode (biografisches System Mapping). Die Darstellung der vier System Mappings mit Hilfe von „Verletzungslandkarten“ bildet die Grundlage für eine Erstellung von Typologien zum Umgang mit Schmerzen und Verletzungen im Spitzensport. Ergebnisse Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen die Komplexität verletzungsbezogener Entscheidungslagen im Spitzensport. Schmerzen und Verletzungen werden für Athleten und Trainer erst dann zum Problem, wenn hierdurch die sportliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Dies zeigt sich beispielsweise in Verheimlichung und verspäteter Mitteilung einer Schmerzsymptomatik seitens der Athleten oder im Verzicht auf Trainings- und Wettkampfpausen. Fehlende Stoppmechanismen bei unklaren Beschwerdebildern und eine unzureichende medizinisch-orthopädische Diagnostik bei nicht-traumatischen Schmerzsymptomatiken tragen regelmäßig zur Aufrechterhaltung des Wettkampfbetriebs bei. Als Antwort auf nicht erfüllte Erwartungen an eine schnelle Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit resultieren Polypragmasie und oftmals auch der Rückgriff auf „Gurus“ und „Heiler“. Bei chronischen Beschwerden ist häufig eine Abwärtsspirale durch symptomatische Behandlung ohne Ursachenbeseitigung festzustellen. Zahlreiche Hinweise deuten auf eine ausgeprägte Kultur der Schmerzme-dikation und des „Fit-Spritzens“ zur Gewährleistung der sportlichen Leistungsbereitschaft hin. Gleichzeitig kommt es regelmäßig zur Bagatellisierung gesundheitlicher Risiken, um den Trainings- und Wettkampfbetrieb fortzusetzen. Wettkampfeinsätze trotz vorliegender Schmerzen und Verletzungen machen aus Sicht von Athleten, Trainern und Ärzten jedoch nur Sinn, wenn die sportliche Leistungsfähigkeit potenziell abrufbar ist. Oftmals bilden sich mit zunehmender Karrieredauer an den individuellen Bedürfnissen von Athleten und Trainern angepasste medizinische Unterstützungsnetzwerke aus. Ebenso ist eine präventiv orientierte Flexibilisierung der Belastungssteuerung zu beobachten, die zum einen aus einer Veränderung der Körper- und Schmerzwahrnehmung und zum anderen aus der (Weiter-) Entwicklung subjektiver Ursachen-Wirkungs-Konstruktionen zur Verletzungsentstehung und Verletzungsvermeidung bei Athleten und Trainern resultiert. Im Zuständigkeitsbereich der Spitzensportorganisationen zeigt sich jedoch nur eine gering ausgeprägte Vorstrukturierung von Entscheidungsprozessen bei der Behandlung von Beschwerden und Verletzungen, was sich auch an der häufig zu frühen Wiederaufnahme sportlicher Aktivitäten nach Verletzungspausen zeigt. Ausblick Die theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungsergebnisse werden abschließend in allgemeinen Ansatzpunkten für ein möglichst ganzheitliches Verletzungsmanagement zusammengefasst. Weitere Studien zur Soziologie der Sportverletzung sind jedoch notwendig, um verletzungsbezogene Entscheidungslagen noch besser zu verstehen.

Abstract:

Objective Pain and injury are common in today’s elite sports. Although the issue of integrated injury management is important for the field of elite sports, the current social-scientific examination of questions dealing with the psychosocial conditions of decisions in the field of diagnostics, treatment and the prevention of sports injuries has thus far been inadequate. Based on observations of the medically inadequate pain and injury management of both athletes and their social surroundings, this work will, therefore, focus on the question of how injury related decisions are made and on what the decisions are based. Theoretical approach Taking into consideration the phenomenon’s complexity, the theoretical approach to the research problem is a systems-theoretic constructivist one, focusing on theories regarding decision, management and social conflict. Building upon methodological considerations, the work’s first part results from the construction of a multiperspective injury-management model in elite sports. The central concepts of pain, discomfort, injury and health are defined prior to the consideration of specific injury-related decisions and the psychosocial conditions on which the decisions depend. In addition to personal conditions such as health and injury or risk perceptions, focus is given to the social aspects surrounding decision making in elite sports based on the perspectives of athletes, doctors and coaches. Therefore, the central topic of interest is the communication of decisions within organized social interaction. Completing the theoretical considerations are reflections on injury-related social conflicts and conflict potentials as well as on the general opportunities for integrated injury management within elite sports organizations. Research Method To understand decisions made concerning pain and injury in the field of elite sports, case studies in handball and track and field were conducted. Four top athletes’ injury biographies were reconstructed and supplemented using the specific perspectives of their coaches and doctors. A graphical-based combination of the biographic method, problem-focused interview, Mind Mapping and the documentary method was used to fully develop the biographies. The four so called “biographic systemic mappings” presented, along with the “injury maps”, are the foundation for the typologies created regarding pain and injury management in elite sport. Results The results emphasize the complexity of injury-related decisions in professional handball and track and field. Pain and injury are not considered as any real problem as long as competition can be maintained. This can be seen, for example, through athletes hiding or delaying the communication of pain symptoms or a general avoidance in taking a break from competition and workouts. The lack of established stop mechanisms in regard to unspecific pain symptoms and inadequate medical diagnostics often maintain the phenomenon of competing while in pain. Polypragmasy and the usage of gurus and healers can often be seen as an answer to achieving the unrealistic expectations of a quick recovery and return to the prior level of athletic performance. Chronic conditions frequently develop through a re-occurring, downward spiral of symptomatic medical treatments without rectifying the symptoms’ cause. Evidence shows a strong pain-medication culture within elite sports, which includes the injection of pain killers to remain competitive. At the same time, a trivialization of health-related risks can be seen through the continuation of workouts and competition. From the perspective of the athletes, coaches and sports doctors, competing while in pain or while injured makes sense when there is the possibility to still effectively compete. With the increasing length of sports careers, specific medical support networks are being developed to suit the athletes and coaches individual demands. Regarding the issue of elite sports organizations’ responsibility to its athletes, there are few pre-established decision processes concerning diagnosing medical conditions and injury treatment, which is demonstrated in an athlete’s often too early return to sporting activities or in continuing workouts and competition. The analysis also shows prevention-oriented flexibility in stress management strategies as a result of a change in body and pain perception and as a further development of subjective cause and effect determination of injury genesis and prevention. Outlook The theoretical thoughts and empirical findings are summarized in suggested approaches for an integrated injury management model in elite sports. Nevertheless, more studies surrounding the sociology of pain and injury in elite sports are required for a deeper understanding of injury-related decisions.

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