Inhaltszusammenfassung:
Der vorliegende Beitrag untersucht die Entscheidungswirkungen von Verlustverrechnungsberschränkungen bei internationaler Investitionstätigkeit. Da die betrachtete Realinvestition und die Finanzanlage im Inland und im Ausland durchgeführt werden können, ist zunächst die optimale Durchführungsform für beide Handlungsalternativen zu bestimmen, ehe entschieden werden kann, ob investiert wird oder nicht. Um die Vielfalt denkbarer Rechtsstrukturen einzugrenzen, wird die Betrachtung auf die Alternativen "inländisches Betriebsvermögen", "ausländische Betriebsstätte" und "ausländische Tochterkapitalgesellschaft" beschränkt. Der Optimierungsprozeß wird durch die Annahme der Irreversibilität der Rechtsstrukturentscheidung vereinfacht, die impliziert, daß eine Repatriierung von Auslandsvermögen erst im Planungshorizont möglich ist. Die Anlageform, über die zu entscheiden ist, besteht in der endwertmaximalen Alternative innerhalb der jeweils drei Möglichkeiten. Entscheidungswirkungen der Verlustverrechnung sind folglich anhand der relativen Vorteilhaftigkeit der optimalen Realinvestition gegenüber der optimalen Finanzanlage zu ermitteln.
Die betrachteten Verlustverrechnungsparameter bestehen einerseits in einem bereits im Entscheidungszeitpunkt existierenden Verlustvortrag im Inland, der gegenüber dem Fallohne Verlustvortrag eine völlig neue Entscheidungssituation schafft, andererseits in der Mindestbesteuerung eines festgelegten Bruchteils des positiven Gesamtbetrags der Eink ünfte sowie in einer zeitlichen Begrenzung von Verlustvorträgen. Im Hinblick auf Entscheidungswirkungen der Parameter muß zwischen Realinvestitionen unterschiedlicher Zahlungsstrukturen und Renditen differenziert werden, da keine einheitlichen Wirkungsaussagen möglich sind. In bezug auf die Entscheidung zwischen Inlands- und Auslandsaktivität ist festzustellen, daß ein hinreichend hoher anfänglicher Verlustvortrag im Inland zu einem Lock-in-Effekt führt, der durch Verschärfungen der Verlustverrechnungsvorschriften noch verstärkt werden kann. Dieser Lock-in-Effekt gilt insbesondere für Finanzanlagen; für Realinvestitionen kann er nur in seltenen Fällen festgestellt werden.
Die Einführung einer Mindestbesteuerung führt tendenziell zur Verstärkung der relativen Benachteiligung von Realinvestitionen. Lediglich für im Erwartungswert hochrentable Investitionen mit fallenden Zahlungsreihen tritt eine Reduzierung der Benachteiligung ein. Verlustverrechnungsparadoxa treten im grenzüberschreitenden Kontext wesentlich seltener auf als bei nationaler Betrachtung und sind für steigende Einzahlungsüberschüsse nicht zu beobachten. Die Beschränkung des Verlustvortragszeitraums bewirkt tendenziell eine relative Benachteiligung von Realinvestitionen, kann aber für bestimmte Parameterkonstellationen einen inländischen Lock-in-Effekt hervorrufen. Beschränkungen ausländischer Verlustverrechnungsvorschriften waren im Rahmen der hier durchgeführten Simulationsrechnungen weitgehend entscheidungsirrelevant.
Im Ergebnis belegt das Beispiel der Verlustverrechnung die Komplexität internationaler Steuerplanung einerseits aus Investorensicht, andererseits aber auch bei der Planung des Steueraufkommens durch den Fiskus. Wie gezeigt wurde, befindet sich zwischen Lock-in-Effekt und Push-out-Effekt oftmals nur ein schmaler Grat, der bereits durch geringfügige Variationen von Verlustverrechnungsparametern überschritten werden kann. Aus diesem Grund erscheint es auch aus fiskalischer Sicht sinnvoll, die voraussichtlichen Investitionswirkungen von Steuerrechtssetzungen durch Anwendung geeigneter Kalküle zu antizipieren, was bislang jedoch nicht im größerem Umgang stattzufinden scheint. Die Steuerplanung grenzüberschreitender Investitionsmöglichkeiten eröffnet darüber hinaus Einblicke in die Wirkungsweise steuerlicher Wahlrechte. Wenngleich die Standortwahl kein originär steuerliches Wahlrecht darstellt, gibt sie dem Steuerpflichtigen dennoch die Möglichkeit, die Steuerbelastung von Handlungsalternativen innerhalb bestimmter Grenzen selbst zu bestimmen und bildet damit ein faktisches steuerliches Wahlrecht. Solange dies der Fall ist, bleibt Entscheidungsneutralität der Besteuerung im internationalen Kontext ausgeschlossen. Dies ist nicht nur für diejenigen Steuerwissenschaftler problematisch, die Entscheidungsneutralität als Desideratum der Besteuerung ansehen, sondern auch für Steuerplaner, die stets einen Eichstrich benötigen, um die Wirkungen bestimmter Steuerrechtssetzungen beurteilen zu können. In der vorliegenden Untersuchung dient der vollständige Verlustausgleich als Eichstrich, um die Wirkungen der betrachteten Verlustverrechnungsmaß nahmen isoliert quantifizieren zu können. Entscheidungsneutralitätder Besteuerung ist jedoch nur hinsichtlich der gesamten Steuerbemessungsgrundlage definiert, nicht hinsichtlich einzelner Bemessungsgrundlagenkomponenten. Da in den Berechnungen zahlreiche Fälle zu beobachten waren, in denen die Bemessungsgrundlagenkomponenten Abschreibungen und Verlustverrechnung gegenläufige Verzerrungen auslösten, kann unter dem Aspekt der Entscheidungsneutralität keine Aussage darüber getroffen werden, ob die hier analysierten Verlustverrechnungsbeschränkungen abzulehnen oder zu befürworten sind.