Sprache, Technik und Gesellschaft. Soziologische Reflexionen zu Gestaltungszwängen und -freiheiten am Beispiel der Informationstechnologie und des maschinellen Dolmetschsystems "Verbmobil"

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Zitierfähiger Link (URI): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-11073
http://hdl.handle.net/10900/47287
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2004
Sprache: Deutsch
Fakultät: 6 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich: Sonstige - Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Gutachter: Deutschmann, Christoph
Tag der mündl. Prüfung: 2004-01-26
DDC-Klassifikation: 004 - Informatik
Schlagworte: Informationstechnik , Soziologische Theorie , Sprachkritik , Empirische Forschung , Fortschritt der Technik - Rückschritt der Menschen?
Freie Schlagwörter:
information technology, sociological theory, wizard-of-Oz study
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird eine Akzeptanz-Studie im Wizard-of-Oz-Szenario vorgestellt, die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts VERBMOBIL durchgeführt wurde. VERBMOBIL realisiert maschinelles Dolmetschen von Terminabsprachen. Der Argumentationspfad ist darauf ausgerichtet, die Technikgestaltung selbst in den Blick zu nehmen und auch konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Dabei liegt ein Fokus auf den „Klärungsdialogen“zwischen Anwenderin und technischem System. Im Einzelnen wird die Akzeptanz gegenüber den funktionalen Leistungselementen der Dolmetschtechnik, gegenüber den Ein- und Ausgabemedien sowie den Fehlermeldungen und Eingriffsmöglichkeiten diskutiert. Das Resümee lautet, dass zwar eine hohe Akzeptanz gegenüber maschinellen Dolmetschleistungen besteht, dass aber gleichzeitig Verhaltensunsicherheiten und Ambivalenzen festzustellen sind. Die Wartezeiten auf die Übersetzungsleistung stellen eine besondere Belastung des Dialogs dar. Die Probanden und Probandinnen versuchen daher variantenreich, Dolmetschprobleme eigeninitativ zu überwinden. Im Umkehrschluss empfielt sich, bei der Gestaltung von Produkten zur Übersetzungs- oder Dolmetschunterstützung auf die Bereitschaft der Nutzer, ihrerseits die Technik zu „unterstützen“, Rücksicht zu nehmen. In Teil II werden Ergebnisse und offene Fragen der Akzeptanzstudie um soziologische Deutungsmuster ergänzt. VERMOBIL wird hier als Medium des Sozialen“ charakterisiert, das den Dialog spezifisch beeinflusst. Es wird zunächst verdeutlicht, dass humanem und computergestütztem Dolmetschen eine identische Aufgabe zukommt: nämlich die „personale Präsenz“ der Sprecherinnen zu bewahren und auf den „situativen Kontext“ der Begegnung anzupassen. Der entscheidende Unterschied technisch gestützten und human vollbrachten Dolmetschens liegt zum Einen in der Andersartigkeit des Einflusses auf den Dialog und zum Anderen darin, dass „personale Präsenz“ nur gegen ein eingesetztes technisches „Medium des Sozialen“ gewahrt oder vermittelt werden kann. Die ambivalente Haltung vieler ProbandInnen gegenüber der Mensch-VERBMOBIL-Mensch-Triade“besteht einmal darin, dass sie eine berufliche Nutzung befürworten, eine private Nutzung jedoch kritischer sehen. Weiterhin wünschen sie sich, vollständig gedolmetscht zu werden, tolerieren aber reduzierte und sogar fehlerhafte Dolmetschleistungen. Um diese Ambivalenzen zu verstehen, werden sprachliche, technische und gesellschaftliche Konstellationen diskutiert, die das Sprach- und Technikbewusstsein im Allgemeinen prägen. Hier wird zum einen die Reduktion von Sprache auf Informationsaustausch an teils historischen Beispielen näher erläutert. Sprache wird in den Sog eines kalkulatorischen Denkens hineingezogen und als reines Informations-Mittel missverstanden, obwohl ihr weniger eine logische als vielmehr eine soziale Struktur zu Grunde liegt. Zum anderen wird auf Arbeitswirklichkeit sowie auf Veränderungen der Lebenswelt eingegangen. Dabei stehen Tendenzen der Entfremdung, Individualisierung und des verstärkten Einsatzes von Informationstechnik im Mittelpunkt. So wird die hohe Akzeptanz der Probandinnen und Probanden gegenüber einer unzureichenden Technik in den Kontext ihrer inneren Gebundenheit an übergreifende Effizienzprinzipien eingebettet. Zum Ende des Teils II wird die These verneint, dass Dometschtechnologie Handlungsfreiheiten erweitern könnte. Sie vollendet vielmehr vorläufig eine gesellschaftliche Bewegung, die vom Einzelnen abstrahiert, von ihm aber zugleich erfolgreich eine Selbstdisziplinierung verlangt und ihm einen unbedingten Gestaltungsimperativ auferlegt. Im dritten Teil der Arbeit werden Sprache und Technik als Medien der Gesellschaft gesehen, in die sie aber auch selbst eingebunden sind. Diese Beziehung wird als gesellschaftliche Bindung von Sprache und Technik beschrieben. Der verwendete Gesellschafts-Begriff ist dynamisch und wird nicht mit der sozialen Wirklichkeit in eins gesetzt. Er bildet eine eigene Kategorie. Einerseits ist Gesellschaft hoch wirksam, wenn es um die subjektiven Realitätsvorstellungen geht. Andererseits lässt sich Gesellschaft nicht endgültig orten, beschreiben oder gar berechnen, sondern verändert sich mit den tatsächlichen, sozialen Erfahrungen der Menschen. Diese oft widerspruchsvolle gegenseitige Abhängigkeit von subjektiver und gesellschaftlicher Entwickung zeigt, dass Disziplinierung und Gestaltungswille sich in Sprache und Technik hinein verwirklichen und von ihnen gleichzeitig – als verallgemeinerte Sozialisationsinstanzen verstärkt werden. Die Aussicht einer möglichen Gegenbewegung vom Ideal der absoluten Gestaltbarkeit einmal der Welt und zum anderen des Gestaltungssubjekts selbst hin zur Überprüfung der Angemessenheit der hier zu Grunde liegenden Effizienz- und Abstraktionsvorstellungen bestimmt den Schluss der Arbeit, der eine Kritik der Informationstechnologie beinhaltet.

Abstract:

The dissertation consists of three main parts. A study on user-acceptance using a Wizard of Oz scenario, which the author conducted as a member of the research project VERBMOBIL, is presented in the first part. VERBMOBIL is an experimental tool for the machine translation of scheduling meetings. The study on user-acceptance focuses on the interaction design of VERBMOBIL. Observations are made concerning 1) factors of acceptance which deal with speed, correctness and quality of machine translation, 2) devices of input and output and 3) technical opportunities of users to manipulate the machine translation process. The study reveals a high degree of user-acceptance towards machine translation. Nevertheless, irregular behaviour in the human-computer-dialog was also found. Particularly being forced to wait for the machine to translate causes a considerable amount of stress. Test persons engage in creative work-arounds to deal with problems due to wrong, delayed or insufficient translations by the machine. A recommendation to be derived from these observations is for developers of user interfaces of machine translation systems to take user competence and creativity into account. In part two, some of the results and open questions of the above research are interpreted in terms of sociological theory. VERBMOBIL is characterized as a social medium” changing the social setting of dialog. It is argued that human and machine translation perform the same task to keep or develop the personal presence”of an actor and to adapt its elements into the situative context, understood as history, atmosphere and social background of a meeting. While machine translation has a completely different impact on a dialog compared to human translation, it is maintained that personal presence” can only be achieved against a given technical medium for social means. Test persons display ambivalent attitudes being positive about using machine translation at work while being more sceptical towards using it in private communication. Another contradiction can be observed when test persons rate translations as good that are evidently flawed or even useless. These phenomena can be understood within a wider scope of societal aspects of language and technology, which affect general convictions held by people. Generally, modern use of language reduces its richness and complexity. Language is misunderstood as a mere device for the exchange of information. Thus, our use of language becomes part of the tendency of perceiving reality in a calculatory way. We tend to neglect that evidently social and only partially logical structures have been shaping the development of human languages. Moreover, changes in our working and private lives are accompanied by alienation, individualization and an increasing use of information technologies. People seem to feel obliged to accept a technology even if it performs poorly due to overriding principles of efficiency. Part two concludes that machine translation diminishes people’s freedom to act. Machine translation is seen as a result of a specific societal driven movement abstracting the individual, while demanding successfully that she discipline herself. Society thus keeps up its common imperative of absolute construction. In the third and last part, language and technology are interpreted as media of society, in which they are embedded at the same time. This relation is described as the societal binding of language and technology. Society is a dynamic category by itself not to be mistaken for social reality. Society has a strong impact on personal reality construction. But society cannot be fixed, finally described or even calculated. It changes through ongoing social experiences made by the people. The often contradictory mutual dependency between individual members and society allows us to reflect on the argument, that there is a certain dynamic process concerning as well methods of self discipline and constructive energy as language and technology which represent the former and are represented by societal ways of using language and constructing artefacts. Language and technology can be seen as agents of socialisation. A way out of the technological imperative to construct, form and shape the world as a whole and even the human as its spiritual but nevertheless handicapped inventor is aimed at towards the end of this thesis. Abandoning the ideal of absolute construction leads to a critical examination of the proposed efficiency and abstraction of existing and future information technologies.

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