TempusRätsel zum TempusWechsel - Moderne Zeitdiskurse und Gegenwartsliteratur zwischen Berechnung und Verrätselung der Zeit

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URI: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-15694
http://hdl.handle.net/10900/46245
Dokumentart: PhDThesis
Date: 2005
Language: German
Faculty: 5 Philosophische Fakultät
Department: Sonstige - Neuphilologie
Advisor: Kemper, Hans-Georg
Day of Oral Examination: 2004-09-24
DDC Classifikation: 830 - Literatures of Germanic languages
Keywords: Zeit , Kulturwissenschaften , Diskurs
Other Keywords: Gegenwartsliteratur
Time , Contemporary German Literature , Cultural studies , Discourse
License: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Seit es menschliche Kulturgeschichte gibt, gibt es Versuche, den Tyrannen Zeit zu begreifen, ihn zu bekämpfen. Der Tempuswechsel des Jahres 2000 war erneut Anlaß eines intensiven Nachdenkens über die Zeit. Die Moderne ist auf die Zeit und Bemühungen um ihr Verständnis, ihre Gestaltung, ihre Überwindung fixiert. Betrachtet man all die Diskurse über die Zeit, so wird deutlich, daß seit der Aufklärung das Leiden am Tyrannen 'Zeit' eine neue Qualität und Quantität angenommen hat, die in der Gegenwart kulminiert und spezifische Merkmale der Zeitdiskurse konstituiert - wobei rasch deutlich wird, dass allem Reden über die Zeit zum Trotz die Zeit weiter als 'große Unbekannte' betrachtet werden muß, die noch von keiner Disziplin, insbesondere aber auch nicht von der Germanistik ausreichend aufgearbeitet wurde. So betritt diese Arbeit somit weitgehend unsondiertes Terrain: Was ist der 'state of the art' der Zeitdiskussion zum Tempuswechsel? Welchen Anteil an dieser Diskussion hat die deutschsprachige Gegenwartsliteratur? In diesem Zusammenhang werden drei Leitfragen an die Literatur formuliert, Diese richten sich auf das Zeitempfinden des modernen Menschen, v.a. auf die Frage, wie sich sein Leiden an der Zeit äußert und was er diesem Leiden entgegensetzt, auf das Zeitdenken der Moderne, also auf die Frage, welche Gestalt die Zeit in menschlicher Kognition annimmt, sowie auf den zeitbezogenen Glauben der Moderne. Ist die Literatur dabei nur auf die Rezeption und ästhetische Verabreitung der Zeitdiskurse der Moderne beschränkt? In diesem Fall wäre der Erkenntnisgewinn einer Beschäftigung mit literarischen Texten für das Thema Zeit gering. Diese Arbeit zeigt aber, daß die Zeitdiskurse der verschiedenen Disziplinen zwar eine Vielzahl wesentlicher Einzelerkenntnisse bieten, daß sie auch zahlreiche Bezüge zueinander aufweisen, daß sie aber zugleich zu einer Verrätselung der Zeit und zur Dissoziation nahezu aller zeitlichen Sicherheiten geführt haben und ohne ihre wechselweise explizite Bezugnahme und die Frage nach den individuellen Konsequenzen unvollständig bleiben, daß diese Vollständigkeit aber oft nur durch die Literatur hergestellt, daß etwa auf Tatsache und Folgen der Zeitverrätselung so nur in der Literatur hingewiesen wird. Die literaturwissenschaftliche Analyse zeigt: Der moderne Mensch ist in der verrätselten Zeit marginalisiert. Sie ist für ihn Quelle des Leidens, ja, sie wird zum TempusWechsel offenbar als besonders drückend und besonders launisch herrschender, an Bedeutung immer mehr zunehmender Tyrann empfunden, zu dem eine adäquate Positionierung aller Notwendigkeit zum Trotz auf keine Weise gelingen kann. Sie zeigt, daß darüber hinaus in literarischen Texten der Gegenwartsliteratur aller Gattungen und Texttypen zwischen 1990 und 2003 Erkenntnisse und Thesen möglich sind, die in den wissenschaftlichen Diskursen nicht erreicht werden, wobei die Gegenwartsliteratur immer wieder auf literarischen Vorbildern und Vorläufern aufbaut. Schwerpunktmäßig gilt dies für John von Düffel, Daniel Kehlmann, Helmut Krausser, Botho Strauß, Günter Grass, Durs Grünbein und die Texte von Autoren, die unter dem Etikett 'Pop-Literaten' rubriziert werden, allen voran Benjamin von Stuckrad-Barré. Bei ihnen, so eine sich aus dieser Untersuchung ergebende These, kann davon gesprochen werden, daß die Zeit, die Auseinandersetzung mit menschlicher Zeitlichkeit, ihren Phänomenen und den Zeitdiskursen der Moderne ihr zentrales literarisches Thema darstellt. Wegen ihrer besonderen Thematisierung der Zeit bzw. bestimmter zeitlicher Phänomene wurden jedoch zahlreiche weitere Texte einer Vielzahl von Autoren ergänzend herangezogen. Eines aber ist auch all diesen Autoren gemein: Die Zeit bzw. zeitbezogene Phänomene stellen für sie ein wesentliches Thema ihres literarischen Schaffens dar. Dies galt zwar auch schon für Autoren früherer literarischer Epochen. Ein zentraler Unterschied freilich besteht- Goethe z.B. hatte noch Hoffnungen, die Positionierung in der Zeit, ihre Enträtselung, Macht des Menschen über die Zeit würden in Zukunft gelingen. Die meisten Autoren der Gegenwartsliteratur wissen dagegen darum, daß dieser Anspruch wohl weder realiter noch auch nur künstlerisch einzulösen ist. Sie relativieren daher in ihren Texten immer wieder den eigenen Anspruch, die Erlösungsqualität der Kunst, die sie damit als sisyphale Form des Trotzes gegen das Unvermeidliche, Unabänderliche begreifen. Die auf die Kunst hoffenden Zeitutopien erscheinen somit als Antwort auf die Diagnose der Hoffnungslosigkeit auch der Kunst gegen die Zeit, ihre Rätselhaftigkeit, das durch sie ausgelöste Leiden. Den meisten Autoren der Gegenwartsliteratur ist bewußt: Die Parallelwelt der Kunst als eine Welt verstandener Gestalt der Zeit, gelungener zeitlicher Positionierung, gemilderten Leidens an der Zeit, stabiler Identität des Menschen in der Zeit ist eine Illusion, die möglicherweise angesichts des 'state of the art' der Zeitdiskussion am TempusWechsel als Sedativum nützlich sein mag- als Therpeutikum aber sehen auch sie die Kunst nicht mehr. Somit aber ist deutlich: Der „state of the art“ der Zeitdiskussion am TempusWechsel malt kein allzu hoffnungsvolles Gemälde - zum TempusWechsel erscheinen das TempusRätsel und das Leiden am Tempus als anthropologische Notwendigkeit. Dabei wird jedoch auch deutlich: Das TempusRätsel zum TempusWechsel mag aus anthropologischen Gründen nicht zu lösen sein. Für diverse, insbesondere aber literaturwissenschaftliche Forschungsanstrengungen aber läßt es reichlich Raum.

Abstract:

From the beginning of human culture there are discussions about time - and around Y2000, men and women were considering about time in an especially intensive way. One can even say: Our modern culture is focussed on, is based on time. If one looks at all modern discourses on time, one sees that since Lessing´s and Goethe´s times the suffering on time has got a new quality and quantity, culminating around the Y2000. But this new quality was not leading to the result of an unanimous picture of time or even to a weakening of time as a source of pain for men. So one must say that no scientific discipline, but especially not the discipline of German Studies has reached a sufficient level of knowledge on time yet. So, this study enters unknown areas. What´s the state of the art of the time-science at the beginning of the 21st Century? Which role can play the German Contemporary Literature in those discussions? Furthermore, this study is asking three leading questions: What is the suffering of man on time about? What does he think about time? What does he believe concerning time? And even more: Which role can play literature as an art in all these discussions? Has an author, have its readers to be content with a pure receptive character? Then, surplus and achievements of literature were marginal concerning the question of time. This study shows that contemporary discourses on time are bringing about a lot of relevant single results, that there are several interesting relations between them - but that the overall result of all these discourses is more mystification that enlightenment, is the destruction of even the least temporal security, is a puzzling vagueness and even a frustrating demolition of the indispensable, which makes the door wide open for depression, for insufficient supplements, but also and especially for literature to bring about enlightenment, temporal securities, even temporal utopias. So, this study shows: Literature is regarding modern man as marginalized in time, which is for him a source of pain getting more and more dominance on everyday´s life, with no chance at all for improvement. So, in German Contemporary Literature between 1990 and 2003, primarily in texts of John von Düffel, Daniel Kehlmann, Helmut Krausser, Botho Strauß, Günter Grass, Durs Grünbein and in texts of the so-called pop-authors, Benjamin von Stuckrad-Barré eg, artistic insights and hypotheses have been achieved not reached yet in scientific discourse. One can even say: Time is for them the key source of inspirance, the key topic. But time is crucial also for many other German writing authors around Y2000 - so many more of them had to be included in this study. One might say: "Time was crucial also for the famous older ones, for Goethe or Thomas Mann, for Hartmann from Aue or Martin Luther?" What´s special about time in modern days´ literature? It´s the demolished hope for a better temporal future, for man being master of time, not time being master of man. Most contemporary authors know: These hopes are in vain. So they describe their texts as utopic counterparts, as utopias and arcadic paradises in which time is no problem…but they also have to demask these hopes as necessary illusions and sedativas of Man which is in face of Time an ever-lasting Sisyphos. So, this study shows: Time is an ever-lasting question and an ever-lasting problem, anthropologically not solvable for Man - but a great source of inspirancy for German Contemporary Literature which is nevertheless making very valuable contributions to each discussion of temporal questions.

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