Inhaltszusammenfassung:
Die in der Sowjetunion produzierten Kriegsfilme lassen sich für den genannten Zeitraum grob in zwei Kategorien einteilen: die heroisch-mythologisierenden Werke der Stalinzeit und die Filme des sog. "Tauwetters". In letzteren wurden - nach sowjetischer Terminologie - "menschliche" Schicksale vorgestellt. Das Sujet des Krieges diente in diesem Zusammenhang als Medium der Abrechnung mit dem Stalinismus, es konnte aber auch zur allgemeineren Abrechnung mit dem Krieg genutzt werden.
Mit Blick auf die DDR scheint in diesem Zusammenhang vor allem interessant, wie der ostdeutschen Bevölkerung, deren Situation von der unmittelbaren Erfahrung einer militärischen Niederlage geprägt war, die Filme des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg präsentiert und propagandistisch näher gebracht werden sollten. Die sowjetischen Kriegsfilme, allesamt in erster Linie für das sowjetische Publikum gedreht und auf zeitgenössische kulturpolitische Leitlinien sowie mentale Prädispositionen des sowjetischen Publikums abgestimmt, sollten in ein der sowjetischen Umgebung relativ fremdes kulturelles Umfeld "verpflanzt" und den betroffenen Individuen als verbindlicher Ausdruck einer neuen Weltanschauung vorgestellt werden. Diesbezüglich sind die sowjetischen "Tauwetterfilme" von besonderem Interesse: Entstanden in einem Klima der Entstalinisierung trafen sie in der DDR auf ein politisches und kulturelles Umfeld, welches den Stalinismus sowjetischer Prägung samt den aus ihm resultierenden Konsequenzen für die Gesellschaft allenfalls in stark abgeschwächter Form erfahren hatte. Auch besaß die ostdeutsche Bevölkerung auf individueller Ebene ein eigenes, anderes Bild von der Vergangenheit des Krieges. Filme, die in der Sowjetunion auf eine Aufarbeitung stalinistischer Vergangenheit vor dem Hintergrund der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg abzielten, mußten in der DDR demzufolge, um nicht gleichsam "ins Leere zu laufen", auf offizieller Ebene einen anderen Interpretationsgehalt erhalten und der Bevölkerung auf andere Art und Weise nähergebracht werden als dem sowjetischen Zuschauer.
Im ersten Teil der Dissertation sollen die in der DDR zur Aufführung gebrachten Spielfilme unter den folgenden, für die Untersuchung im zweiten Teil relevanten Fragestellungen analysiert werden: Wie und nach welchen Prämissen rekonstruierten zeitgenössische Regisseure die Kriegsereignisse? Welche "Geschichten" wurden durch welche "Protagonisten" erzählt? Welche Ereignisse des Krieges nahmen in der von oben verordneten Kriegserfahrung breiten Raum ein, welche überhaupt keinen? Insbesondere im Hinblick auf die DDR ist zu fragen, wie in politisch-legitimatorischer Absicht die Vergangenheit filmisch aufbereitet und der sowjetischen Gesellschaft als Orientierungsangebot zur Verfügung gestellt wurde.
Der zweite Teil führt zu der Frage nach der "Verpflanzung" der Spielfilme in den ostdeutschen Kontext. Die leitenden Fragen konzentrieren sich darauf, welche Aspekte der Filme in den amtlichen bzw. amtlich kontrollierten Medien der DDR hervorgehoben wurden und in welcher Form, mit welchen Themen und Helden Brücken zwischen Siegern und Besiegten hergestellt, welche deutsche Vergangenheit abgerufen und welche Identifikationsangebote den Besiegten gemacht werden sollten. Aufgrund der spezifischen Situation in der DDR steht im wesentlichen die amtliche bzw. amtlich tolerierte Steuerung der Rezeption im Vordergrund.
Die Dissertation kann als Baustein zur noch laufenden und keineswegs abgeschlossenen Diskussion um den Stellenwert der sowjetischen Präsenz im Kulturleben der DDR und im weiteren Sinn als Beitrag zur Debatte um "Sowjetisierung" und "Veröstlichung" des ostdeutschen Teilstaats angesehen werden.
Abstract:
The thaw that followed the 20th Party Congress of the Communist Party resulted in a turning point in Soviet film making, a turning point which changed even the way the Great Patriotic War was portrayed. Stereotyped heroes, schematic plots and the dominant role of Stalin all gave way to psychological studies of individuals under the most extreme of conditions: war. The films of the Stalin era had sterile, sacred heroes who only acted as part of a collective body. They now made way for the "average person", the simple "homo sovieticus" who achieved a kind of human greatness by carrying a heavy burden of fate on his shoulders. The strict, life-like concentration on the fate of one individual focuses on one particular aspect of life, an aspect common to the entire country: war, deprivation, occupation, victimhood, the glory and misery of victory and the difficulties that followed.
The first part of the dissertation sketches the development of the Soviet treatment of the Great Patriotic War from 1945 to 1965 and illustrates important points by discussing selected Soviet films. In the second part, the author investigates the presence of these films in the German Democratic Republic and their influence on cultural life there. The dissertation can be considered as a contribution to the general debate concerning the tendencies of "Easternization" and "Sovietization" which have influenced the Eastern part of Germany for decades.