Inhaltszusammenfassung:
Heutzutage können Vestibularisschwannome über den retrosigmoidalen Zugang mit geringen Morbiditäts- und Mortalitätsraten entfernt werden. Dabei ist ein zentraler Schritt die Eröffnung des inneren Gehörgangs. Dies erfordert unter anderem die detaillierte Kenntnis der Strukturen des Felsenbeins, deren topographische Lage im Verhältnis zur Öffnung des inneren Gehörgangs durch den Tumor möglicherweise verändert wird. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den endolymphatischen Innenohrstrukturen Ductus und Saccus endolymphaticus als Homöostaseorgane zu. Eine Verletzung dieser Strukturen kann ursächlich für einen Hörverlust sein.
Ziele dieser Studie waren die Beschreibung der anatomischen Verhältnisse und die Vermessung der Topographie relevanter Strukturen, um den inneren Gehörgang in der gesunden Situation sowie beim Vorliegen eines Vestibularisschwannoms zu erfassen. Dazu wurden mittels hochauflösender Computertomographie die anatomischen Gegebenheiten und das operative Vorgehen am Felsenbein von Personen mit einem einseitigen Vestibularisschwannom erfasst. Ein weiteres Ziel war die Erhebung der Inzidenz chirurgisch verursachter Integritätsverletzungen des endolymphatischen Systems, sowie die Untersuchung klinischer Parameter der Patienten.
Dadurch sollten Zusammenhänge zwischen Tumor bedingten Veränderungen der Anatomie, Operationsparametern und Integritätsverletzung der endolymphatischen Strukturen erkannt und hieraus möglicherweise Empfehlungen für eine, die endolymphatischen Strukturen schonende, Operationstechnik abgeleitet werden.
Die Studie wurde prospektiv an einem repräsentativen Patientenkollektiv
(n = 100) in der Universitätsklinik für Neurochirurgie Tübingen durchgeführt.
Der Diameter des Canalis acusticus internus war mit zunehmender Tumorgröße signifikant weiter und war auch im intraindividuellen Seitenvergleich auf der vom Vestibularisschwannom betroffenen Seite signifikant erweitert. Des Weiteren war die horizontale Distanz zwischen Canalis acusticus internus und der Apertura externa signifikant verkürzt. Damit konnte eine tumorbedingte Aufweitung des Canalis acusticus internus und Veränderungen der anatomischen Gegebenheiten nachgewiesen werden.
Die Inzidenz von chirurgisch verursachten Integritätsverletzungen des Aquaeductus vestibularis und des darin verlaufenden Ductus endolymphaticus nach retrosigmoidaler Eröffung des inneren Gehörgangs lag bei 41%.
Eine Integritätsverletzung der Bogengänge wurde in 18% der Fälle beobachtet. Eine Integritätsverletzung des Aquaeductus vestibularis war mit zunehmender Tumorgröße signifikant häufiger. Im Falle einer Integritätsverletzung waren sowohl die Länge des Canalis acusticus internus als auch die horizontale Distanz zwischen Canalis acusticus internus und der Apertura externa signifikant verkürzt. Außerdem wurde bei einer Integritätsverletzung ein signifikant größerer Anteil des Canalis acusticus internus eröffnet und der horizontale Arbeitsabstand zum Sinus sigmoideus war signifikant kürzer. Ein postoperativ erhaltenes Hörvermögen fand sich bei 63% der Patienten. Mit zunehmender Tumorgröße waren sowohl das präoperative Hörvermögen (als auch der postoperative Hörerhalt signifikant schlechter. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Integritätsverletzung des Aquaeductus vestibularis und postoperativem Hörverlust konnte nicht nachgewiesen werden.
Definitive Empfehlungen für die Operationstechnik zur Schonung der endolymphatischen Strukturen in einem anatomisch derartig variablen mikrochirurgischen Bereich sind trotz der hilfreichen Studienergebnisse problematisch. Um eine komplette Tumorresektion unter Schonung der endolymphatischen Strukturen zu erreichen, sollte individuell eine präoperative hochauflösende Computertomographie durchgeführt werden, welche sich auf die Lage der Apertura externa, den Verlauf des Aquaeductus vestibularis sowie die weiteren Labyrinthstrukturen konzentriert. Darüber hinaus ist die Verwendung des intraoperativen Endoskops hilfreich, um möglichst eine langstreckige Eröffnung des inneren Gehörgangs zu vermeiden.