Inhaltszusammenfassung:
In den letzten Jahren konnten verschiedene Studien zeigen, dass taktile Stimuli wahrgenommen werden können, ohne dass sie dabei korrekt lokalisiert werden. Bei einer Präsentation taktiler Reize nahe der Wahrnehmungsschwelle kommt es im Vergleich zu überschwelligen Reizen zu fehlerhaften Lokalisationen. Diese Misslokalisationen verteilen sich nicht wie erwartet gleichmäßig auf alle Finger, sondern werden bevorzugt dem Finger zugeordnet, der dem Stimulationsort benachbart ist. Des Weiteren wurde gezeigt, dass sich dieses systematische Verteilungsmuster durch eine Stimulation einzelner Finger der kontralateralen Hand beeinflussen lässt. Bei einer überschwelligen Reizung eines Fingers der kontralateralen Hand durch einen Störreiz verschieben sich die Fehllokalisationen der intensitätsschwachen Reize in Richtung des zum Störreiz homologen Stimulationsort.
Um die Verarbeitung taktiler Reize genauer aufzuklären, muss für die einzelnen kortikalen Ebenen der Verarbeitungsprozess analysiert werden. Auf den verschiedenen Stufen kortikaler Verarbeitung wird die taktile Reizinformation in unterschiedlichen Koordinatensystemen repräsentiert. Auf den ersten Stufen der Reizverarbeitung liegt die Information in körperzentrierten Koordinaten vor. Die Reizinformation ist dabei direkt einem Hautareal zugeordnet. Aufgrund bilateraler Verschaltungen auf der Höhe des sekundären somatosensorischen Kortex kann vermutet werden, dass Reizinformationen dort in einer körperseitenunabhängen Repräsentation vorliegen. Schließlich ist anzunehmen, dass taktile Informationen in einem körperunabhängigen, allozentrischen, raumzentrierten Bezugssystem repräsentiert werden, welches räumliche und propriozeptive Faktoren mitberücksichtigt.
Da die Misslokalisationen bevorzugt dem ersten Nachbarfinger zugeordnet werden, nimmt man an, dass diese auf einer Stufe entstehen, in der primär eine somatotopische, also körperzentrierte Organisation besteht. Wie jedoch die Beeinflussung des Fehllokalisationsprofils durch eine Reizung der anderen Hand entsteht und ob bzw. wie diese durch eine Änderung der Handhaltung beeinflusst wird, ist unklar und soll mit den vorliegenden psychophysischen Experimenten herausgefunden werden. Es existieren dazu zwei Modelle. (1) Das Misslokalisationsprofil wird zunächst durch den Reizeingang von der kontralateralen Körperhälfte beeinflusst und danach auf einer weiteren Verarbeitungsstufe durch propriozeptive Informationen über die Handhaltung verändert. (2) Das Misslokalisationsprofil variiert zunächst in Abhängigkeit der Handhaltung und wird danach durch Reize auf der kontralateralen Körperseite modifiziert.
Um diese beiden Modelle zu untersuchen, sollten 20 Probanden intensitätsschwache Reize an der rechten Hand lokalisieren. Zusätzlich wurden den Versuchspersonen in zwei weiteren Versuchsblöcken überschwellige Störreize an der linken Hand präsentiert, um den Effekt einer bilateralen Stimulation bei gekreuzter und ungekreuzter Handhaltung auf die Verteilung der Fehllokalisationen zu untersuchen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass nur bei der Darbietung von Störreizen an der zur Misslokalisationshand kontralateralen Hand ein Einfluss der Handhaltung auf das Fehllokalisationsprofil besteht. Ohne die Darbietung von Störreizen spielt die Handhaltung für das Misslokalisationsprofil keine Rolle. Das Ergebnis lässt sich dahingehend interpretieren, dass wenn Informationen an nur einer Hand appliziert werden, die Wahrnehmung auf einem köperzentrierten Koordinatensystem beschränkt bleibt. Nur dann wenn Informationen aus beiden Körperhälften integriert werden müssen, beeinflussen propriozeptive Informationen zur Handhaltung die Wahrnehmung schwellennaher taktiler Reize. Die Ergebnisse legen nahe, dass der taktilen Wahrnehmung eine hierarchische Verarbeitung zugrunde liegt, bei der zunächst Informationen aus der anderen Körperhälfte verarbeitet werden und in einem weiteren Schritt propriozeptive Informationen die Wahrnehmung beeinflussen.
Abstract:
In the last years, different studies showed that tactile stimuli can be detected without correct localization. In contrast to above-threshold stimuli, near-threshold tactile stimuli are often mislocalized to fingers other than the stimulated one. Previous studies showed that the distribution of mislocalizations across fingers deviates from a distribution expected by chance, showing a higher frequency of mislocalizations to the neighboring fingers than to more distant fingers. Furthermore, it was shown that the distribution of mislocalizations is influenced by supra-threshold tactile stimuli presented to fingers of the contralateral hand. Because of the interference stimuli, the mislocalizations of the faint tactile stimuli are predominantly detected on fingers or the nearest neighboring fingers whose contralateral homologue had been stimulated with supra-threshold intensities before.
The aim of the present behavioral study was to investigate how the position of the hand modulates the distribution of mislocalizations under the influence of contralateral interference stimuli. So it should be demonstrated the impact of proprioceptive information in the cortical processing of bilateral tactile stimulation. For this purpose, 20 subjects had to localize near-threshold tactile stimuli on the right hand. Additionally, supra-threshold interference stimuli were presented to fingers of the left hand. The distribution of mislocalizations was examined for two hand positions: parallel and crossed hand position. The results of the present study demonstrate that the distribution of mislocalization is affected by the position of the hand, but only if tactile stimuli were presented to both hands simultaneously (near-threshold and interference stimuli). If near-threshold tactile stimuli were presented without interference stimuli to the other hand, the distribution of mislocalizations not affected by the hand position.
In summary proprioceptive information affects the perception of near-threshold stimuli in the cortical processing only when different impulses of both sides of the body have to be integrated. So it could be supposed that there is a hierarchical organization in the somatosensory cortex only integrating proprioceptive information when there is a bilateral stimulation.