Inhaltszusammenfassung:
Die funktionelle Diversität des Zinkfinger-Transkriptionsfaktors egr1 wirft vielerlei Fragen auf bezüglich einer möglichen differenziellen sowie zelltyp-abhängigen beziehungsweise in Abhängigkeit zur genauen subzellulären Lokalisation stehenden Regulation von Protein und mRNA-Varianten. Unterschiedliche mRNA Varianten des egr1 Gens wurden bereits in retinalem Gewebe genauer charakterisiert, und die Entdeckung hochkonservierter zytoplasmatischer Polyadenylierungs – Elemente in den Extra-Basenpaaren der längeren Variante legt eine entscheidende funktionelle Relevanz dieser Struktur nahe. Dieser Umstand könnte hinsichtlich der Entschlüsselung der Ursachen für die teilweise sogar diametral einander gegenüberstehenden unterschiedlichen funktionellen Eigenschaften von egr1 von großer Bedeutung sein. Deshalb wurde in dieser molekularbiologisch ausgerichteten Arbeit ein Hauptaugenmerk auf das Verhalten der beiden mRNA unter Bestrahlung in unterschiedlichen Gehirnarealen der Ratte gesetzt.
Wir haben mit dieser Arbeit zum ersten Mal die Existenz zweier unterschiedlicher Varianten der egr1-mRNA in anderen Hirnarealen als retinalem Gewebe und deren Verteilung in verschiedenen Hirnarealen nachweisen können. Andere Gruppen konnten zeigen, dass egr1-Expression für die Ausbildung von Langzeitpotentialen nach neuronaler Aktivierung essentiell ist. Von den beiden untersuchten mRNA-Varianten kommt am ehesten egr1-lv mit seinen in der 3’UTR lokalisierten NMDA-response Elementen für die Vermittlung eines Anstiegs von Egr1 Protein in Frage. Wir konnten jetzt eine bestrahlungsinduzierte Abnahme von egr1-lv feststellen, während egr1-sv sich nicht signifikant veränderte. Diese Entdeckung bestätigt erstmals außerhalb der Netzhaut, dass beide Varianten stimulusabhängig differentiell reguliert werden und ist prinzipiell mit der Einschätzung vereinbar, dass erniedrigte Werte für egr1-lv nach Bestrahlung für eine verminderte neuronale Aktivität sprechen. Neurone vermindern möglicherweise nach Bestrahlung im Sinne eines protektiv wirkenden Mechanismus ihr Aktivitätsniveau, um vor direkt und indirekt toxischen Bestrahlungsfolgen (beispielsweise durch ROIs) besser geschützt zu sein.
Anscheinend besteht auch auf Proteinebene ein Zusammenhang zwischen Funktion und zellulärer oder auch subzellulärer Lokalisation des Genproduktes von Egr1, da gliale Zellen im Gegensatz zu Neuronen immunhistochemisch einen raschen Anstieg der Egr1 Expression nach Bestrahlung aufweisen und die subzelluläre Lokalisation von Egr-1 ferner zelltyp- und stimulusabhängig zu sein scheint. Die vermehrte Egr-1 Expression gerade in glialen Zellen kann einerseits in Hinblick auf beschriebene leukencephalopathische Bestrahlungs-Spätfolgen sowie andererseits auf Grund von Beschreibungen von Egr1 als potenten Induktor apoptotischer Prozesse auf eine vermehrte apoptotische Aktivierung hindeuten.
In nachfolgenden Arbeiten wäre es interessant, genauer herauszuarbeiten, in wieweit Bestrahlung mit therapeutischen Dosen am Menschen tatsächlich in der Lage ist, das allgemeine neuronale Aktivitätsniveau zu senken. Unter anderem würde man auf der Basis der hier vorgelegten Ergebnisse im Stundenbereich nach Bestrahlung eine messbare Verschlechterung von Reaktionszeiten und kognitiven Leistungen erwarten. Auch ist es wichtig, durch weitere molekularbiologische Untersuchungen zu sichern, inwiefern sich neuronale Aktivität tatsächlich ausschließlich einer der beiden mRNA-Varianten zuschreiben lässt. Auf jeden Fall bieten die Ergebnisse dieser Arbeit Grund zu der Annahme, dass es entscheidend sein kann, bei Untersuchungen auf transkriptioneller Ebene die differentielle Expression der unterschiedlichen mRNA-Varianten von egr-1 zu berücksichtigen, und sie gegebenenfalls unterschiedlichen Funktionszusammenhängen zuzuordnen.