Inhaltszusammenfassung:
EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG:
Das lernpsychologische Entstehungsmodell chronischer Schmerzen postuliert, dass respondente und operante Konditionierungsprozesse zu veränderten Reaktionen auf schmerzhafte Stimulation aber auch auf Reize, die mit der Schmerzerfahrung assoziiert sind, führen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich diese experimentelle Arbeit mit der Frage, inwieweit zwischen Amputierten mit und ohne Phantomschmerzen Unterschiede hinsichtlich ihrer
psychophysiologischen Reaktionsmuster auf standardisierte emotionale, stressreiche und entspannende Stimuli bestehen. Ausgangspunkt dieser Studie war die zentrale Annahme, dass Phantomschmerzpatienten (PS) unter Stress, insbesondere unter persönlich-relevanten psychologischen Stressreizen, eine erhöhte psycho-physiologische Reagibilität aufweisen, die sich von der allgemeinen psychophysiologischen Reagibilität der Amputierten ohne Phantomschmerzen (PSF) signifikant unterscheidet. Es wurde erwartet, dass PS in Vergleich zu PSF eine symptomspezifisch verstärkte elektromyographische und vasokonstriktorische Stumpfaktivität unter stresshaften und emotional aversiven Reizen sowie höhere Anstiege in kardiovaskulären Parametern und im subjektiven Stress-Rating beim Erinnern und Beschreiben schmerzbezogener
(peri-)amputativer Ereignisse aufweisen.
METHODIK:
Probanden: Patienten mit unilateraler Amputation im Bereich der oberen
Extremitäten wurden in 2 Gruppen aufgeteilt: PS mit mehrmals am Tag auftretenden Schmerzattacken und PSF.
Psychophysiologische Variablen (mobile Messinstrumente: VitaPort-I-Polygraph, NaiS Blood Pressure Watch, Numerische-Rating-Skala): 2 Elektromyogramme (EMG) (6 cm oberhalb des Stumpfes sowie kontralateral), 2 Hauttemperatursonden (wie EMG), Herzrate, Blutdruck und subjektives Stress-Rating.
Randomisierter Versuchsablauf: 4 Emotions-Aufgaben (Angenehmes Video / 10 Min.; Aversives Video / 10 Min.; Negative Imagination / 3 Min.; Positive
Imagination / 3 Min.), 4 Stress-Aufgaben (Kopfrechnen / 3 Min.; 2 Cold-pressure-Tests / jeweils 3 Min.; Freie Rede über das Amputationsereignis und schmerz-bezogene periamputative Erfahrungen / 5 Min.), 2 Entspannungs-Aufgaben (Paced respiration / 10 Min.; Muskelentspannung / 10 Min.).
Statistik: Multivariate Varianzanalysen. Veränderungswerte bei EMG und
Herzrate (jeweils Vergleich von Prä-Stimulus-Baseline und Aufgabe) sowie Blutdruck und Stress-Rating (jeweils Vergleich von Prä- und
Post-Stimulus-Wert). Absolute Aufgabenmittelwerte bei Hauttemperatur.
ERGEBNISSE:
Differentielle gruppenspezifische Effekte: EMG (negativ), Hauttemperatur
(negativ i. S. unserer Hypothesen; während Emotions- und Stress-Aufgaben jedoch größere Differenz zwischen Stumpf und intaktem Arm bei PSF; während Stress-Aufgaben höhere Stumpftemperaturen bei PS), Herzrate / systolischer Blutdruck / Stress-Rating (konsistent gruppendifferente Anstiege bei PS
während 'Freie Rede').
SCHLUSSFOLGERUNG:
Die durchgeführte Arbeit ergibt Hinweise für periphere vasomotorische
Aktivitätsdifferenzen zwischen den Stümpfen von PS und PSF. Die beobachtete konsistente Kovariation des subjektiven Maßes Stress-Rating mit den Anstiegen der peripheren Aktivierungsindikatoren Herzrate und systolischer Blutdruck in Verbindung mit der Aufgabe 'Freie Rede' spiegelt darüber hinaus eine
gruppenspezifische Hyperreagibilität der PS im Sinne erhöhter sympathischer Aktivierung beim Erinnern und Beschreiben des traumatischen Amputationsereignisses wider und deutet möglicherweise auf Unterschiede in der gedächtnisrelevanten Verarbeitung des traumatischen Amputationsereignisses zwischen PS und PSF hin.
Abstract:
The present study was designed to investigate differences in activity-induced psychophysiological reactivity patterns in amputees with and without phantom limb pain.
Unilateral upper-extremity amputees were administered three groups of tasks: emotional tasks, stressful tasks and relaxing tasks.
The dependent variables were recorded at both stump and contralaterale side using electromyography and measurements of skin temperature, heart rate, blood pressure and subjective stress rating.
Phantom limb pain patients showed higher cardiovascular reactivity to the stressful, trauma-relevant 'free-speech' task, which focused on recollection of the amputation event. As compared with the painfree patients, during the personal trauma-relevant stressor 'free speech', phantom limb pain patients' heart rate, systolic blood pressure and subjective stress rating increased, indicating a greater sympathetic response. The clear cardiovascular hyperreactivity observed in phantom limb pain patients during their report of amputation suggests a different memory-relevant processing of the traumatic amputation event in the two groups of amputees.