Inhaltszusammenfassung:
In der vorliegenden Arbeit sollte untersucht werden, ob die achtwöchige orale Einnahme des Opioides Etonitazen durch Wistar-Ratten neben kurzfristigen Veränderungen zu protrahierten Adaptationen neurochemischer Strukturen der Signaltransduktion führen kann. Zugleich wurde gefragt, ob sich innerhalb dieses Zeitraumes ein freiwilliger Konsum des Opioides unterscheidbar von einem erzwungenen (forcierten) Konsummuster abbilden würde. Einem Teil der in Einzelhaltung lebenden Tiere wurde die Wahl zwischen Etonitazenlösung und Wasser ermöglicht. Eine zweite Gruppe bekam ausschließlich Etonitazenlösung zur Deckung des Flüssigkeitsbedarfs. Die neurochemischen Untersuchungen wurden nach zweitägigem bzw. sechswöchigem Entzug durchgeführt.
Bei der Untersuchung des mu-Opioidrezeptors (MOR) wurden keine Veränderungen der maximalen Bindungsdichte oder Rezeptoraffinität gemessen. Die max. Bindungsdichte der MOR-gekoppelten Gi/o-Proteine war im akuten Entzug in beiden konsumierenden Gruppen erhöht, während die intrinsische Fähigkeit des MOR-Agonisten DAMGO zur G-Proteinaktivierung in der forciert behandelten Gruppe im gleichen Zeitraum verstärkt war. Insgesamt war die Entkoppelung der Gi/o-Proteine vom MOR im akuten Entzug erschwert. Die Ergebnisse deuten auf eine vor allem dosisabhängige Erhöhung des G-Proteinpools und Verstärkung der G-Proteinaktivierbarkeit im akuten Entzug hin.
Im akuten Entzug zeigten sich eine erhöhte Dichte des Dopamin D1/5-Rezeptors und eine Verstärkung der hochaffinen Bindungsstelle innerhalb der forciert behandelten Gruppe im "limbischen Vorderhirn" (inkl. Nucleus accumbens). Dem gegenüber war die Bindungsdichte nach sechswöchiger Abstinenz erniedrigt und die hochaffine Bindungsstelle abgeschwächt. Die gemessene Erhöhung bzw. Erniedrigung der max. D1/5-Bindungsdichte und die Verstärkung bzw. Abschwächung der hochaffinen Bindungsstelle könnten als Gegenregulation zu einer vermuteten verminderten basalen Dopaminausschüttung im akuten bzw. einer sensitisierten Dopaminausschüttung im protrahierten Entzug aufgefasst werden.
Die Stimulierbarkeit der Adenylatzyklase (AC) über Aktivierung des Dopamin D1/5-Rezeptors war gleichzeitig im "limbischen Vorderhirn" im akuten Entzug und nach sechswöchiger Abstinenz in allen substanzerfahrenen Gruppen erniedrigt. Aus den Messungen ergab sich eine funktionelle Entkoppelung von D1/5-Rezeptor und stimulatorischen G-Proteinen. Die pharmakologische Potenz von GTPgammaS zur Inhibition der AC war im "limbischen Vorderhirn" im akuten Entzug und nach sechswöchiger Abstinenz in allen substanzerfahrenen Gruppen signifikant verstärkt. Die signifikant erniedrigten EC50-Werte wurden als persistierende Sensitisierung des inhibitorischen G-Proteinwegs interpretiert. Die persistierende funktionelle Entkoppelung von D1/5-Rezeptor und stimulatorischen G-Proteinen während gleichzeitiger Sensitisierung des inhibitorischen u.a. D2-rezeptorgekoppelten G-Proteinwegs wurde als persistierende Dysbalance gewertet, die in einem Hirnareal auftrat, dass mit den verstärkenden und verhaltensmodulierenden Wirkungen der Opioide verknüpft ist. Möglicherweise sind diese Langzeitfolgen einer oralen Etonitazenselbsteinnahme mit Adaptationen des motivierten Verhaltens verbunden.
Insgesamt ließen sich keine gesonderten Effekte des freiwilligen Konsummusters auf neurochemische Adaptationen nachweisen. Es wird hier in erster Linie von dosisabhängigen Veränderungen im Rahmen eines intermittierenden Verabreichungsschemas ausgegangen. Grundsätzlich sind neben aktiven adaptiven Vorgängen neurodegenerative Prozesse durch Agonisteneinwirkung oder Entzug als Ursache für persistierende neurochemische Veränderungen nicht auszuschließen.