Inhaltszusammenfassung:
Für effektives Arbeiten, zur klinischen Entscheidungsfindung und für wissenschaftliche Forschung haben medizinische Klassifikationen eine große Bedeutung. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, die neuere Lenke-Klassifikation für idiopathische Skoliosen mit der älteren etablierten Einteilung von King hinsichtlich Zuverlässigkeit und Praktikabilität unter realitätsnahen Bedingungen zu prüfen.
Drei Untersucher, alle unerfahren mit der Lenke-Klassifikation und mit unterschiedlicher klinischer Erfahrung in der Skoliosetherapie, klassifizierten unmarkierte Röntgenbilder von 60 Patienten mit idiopathischer Skoliose. Die Blindstudie wurde in 4 zeitlich getrennten Untersuchungsblöcken mit Röntgenbildern von je 15 Patienten durchgeführt, die von jedem Untersucher in beiden Klassifikationen vermessen und bewertet wurden. Die Auswertung erfolgte mit der Multi-Rater-Kappa-Statistik und dem Student-t-Test für unverbundene Stichproben. Beide Klassifikationen zeigten eine geringe bis mäßige Intraobserver- und eine geringe Interobserver-Reliabilität (Interobserver-Kappa: Lenke=0,23, King=0,45). Die Winkelmessung und die Erfahrung der Untersucher haben insbesondere bei der Lenke-Einteilung einen Einfluss auf die Zuverlässigkeit. Die Lernkurve verläuft für diese Klassifikation flacher als bei der Einteilung von King. Die Lernkurve von Untersuchern geringerer Erfahrung steigt steiler an und die Reliabilität ist höher.
Mit der Lenke-Klassifikation können idiopathische Skoliosen umfassender und detaillierter beschrieben werden als mit der älteren King-Klassifikation. Damit wird diese Klassifikation den neueren Therapieoptionen besser gerecht. Andere klinisch bekannte orthopädische Klassifikationen zeigten in verschiedenen Untersuchungen ebenfalls lediglich eine geringe bis mäßige Reliabilität. Trotz geringerer Zuverlässigkeit sollte sie deshalb wissenschaftlich und klinisch eingesetzt werden. Unter Reduzierung wichtiger Fehlerquellen mittels teil- oder vollautomatisierten Vermessung und regelmäßiger Anwendung ist eine Steigerung der Zuverlässigkeit zu erwarten und damit ein Einsatz unter klinischen Routinebedingungen denkbar.