Inhaltszusammenfassung:
Fragestellung: In der Arbeit wird geprüft, ob mit Hilfe der Kernspintomographie (KST) eine relevante diagnostische Aussage hinsichtlich einer isolierten kognitiven Entwicklungsstörung eines Kindes gemacht werden kann. Ergänzend wurde untersucht, ob eine Korrelation zwischen der Größe des Balkens und der kognitiven Entwicklung eines Kindes besteht und ob es zu einer signifikanten Reduktion der Gesamtfläche oder einzelner Abschnitte des Corpus callosum bei einer kognitiven Retardierung im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe kommt.
Methoden: Es wurden alle Kinder der Jahrgänge 1985 bis 1995 erfasst, die an der Abteilung Entwicklungsneurologie der Universitätsklinik Tübingen mit der Diagnose einer kognitiven Störung verschlüsselt sind, keine neurologischen Symptome aufweisen und bei welchen im Verlauf der ärztlichen Betreuung eine KST durchgeführt wurde. Die Kernspinaufnahmen wurden differenziert befundet und anschließend die für eine Balkenmorphometrie erforderlichen Kenngrößen vermessen. Es wurden 64 Kinder (21 Mädchen, 43 Jungen, 52 Normocephale, 12 Microcephale) im Alter von 3 bis 11 Jahre mit unspezifischer kognitiver Retardierung und eine Kontrollgruppe von 18 Kindern (5 Mädchen, 13 Jungen) erfasst. Die KST-Befunde wurden als "normal", "unspezifisch auffällig" und sicher "pathologisch" bewertet. Für jedes Kind erfolgte eine Bewertung, wie stark es in seiner Entwicklung verzögert ist.
Ergebnisse: Microcephale Patienten waren im Vergleich zu normocephalen Patienten nicht stärker retardiert. Die Microcephalie war somit kein wesentlicher diagnostischer Parameter für die kognitive Retardierung. Bei der KST-Befundung wurden 54,7 % der Patienten und 61,1 % der Kontrollen als unauffällig eingestuft. Außerdem wurde eine fast gleiche Anzahl an fraglich pathologischen Befunden (37,5% Patienten und 38,9% Kontrollen) diagnostiziert, was bestätigt, dass diese Befunde eher unspezifisch sind und keine pathologische Bedeutung haben. Sicher pathologische Befunde fanden sich bei fünf Patienten (7,8 %), wobei zwei (3,1 %) die Entwicklungsstörung nicht ausreichend erklärten und drei (4,7 %) die Entwicklungsstörung ausreichend erklärten. Wie in der Zusammensetzung des Gesamtkollektivs wurden auch in der Häufigkeit der pathologischen und unspezifisch pathologischen Befunde prozentual mehr Jungen als Mädchen vorgefunden. Pathologische Befunde liegen anteilig mehr bei den microcephalen als bei den normocephalen Patienten vor, bei jedoch kleiner Patientenzahl und ohne Signifikanz des Unterschieds.
Es wird der Schluss gezogen, dass die Indikation einer KST bei isolierten kognitiven Störungen ohne Progredienz gegeben ist. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit des Auffindens eines spezifischen pathologischen und erklärenden Befundes niedrig ( 8 %).
Bei einer Einteilung des Balkens in einen vorderen, mittleren und hinteren Abschnitt nehmen die gemittelten Kennwerte (absolute Länge, Gesamtfläche, Gesamtumfang, Flächen und Umfänge) der Balkenabschnitte in der Reihenfolge Microcephale - Normocephale - Kontrollgruppe zu. Ein signifikanter Unterschied in den Kennwerten, mit Ausnahme der Balkenlänge, zwischen den Untersuchungsgruppen liegt nicht vor. Die Hypothese, dass eine Korrelation zwischen der absoluten Größe des Balkens und der kognitiven Entwicklung eines Kindes mit einer "unspezifischen" kognitiven Retardierung besteht, kann anhand der Untersuchungsergebnisse statistisch nicht bestätigt werden.
Nach stereotaxischer Normierung der Messgrößen wurden drei Formfaktoren definiert, welche Dicke, Kompaktheit und Krümmung des Balkens und der Balkenabschnitte beschreiben. Bei den microcephalen Patienten wurden dickere und kompaktere Balken im Vergleich zu den normocephalen Patienten und der Kontrollgruppe festgestellt. Dies widerspricht eher der Vorstellung, dass die Mikrozephalie unter anderem mit einer verminderten interhemisphärischen Konnektivität zusammenhängt. Ein schwach signifikanter Unterschied zwischen den normocephalen Patienten und der Kontrollgruppe bestand darin, dass die mittleren Balkenabschnitte schlanker und die hinteren Balkenabschnitten kompakter bei der Kontrollgruppe waren.
Die altersabhängige Zunahme der Kennwerte des Balkens zeigt Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und den normocephalen Patienten auf. Bei den Kindern mit einer unspezifischen kognitiven Störung wurde keine altersabhängige Zunahme der normierten Flächen- und Form-Kennwerte des Balkens oder einzelner Abschnitte des Balkens im Vergleich zu der Kontrollgruppe beobachtet. Der geringen Zunahme des Balkens der normocephalen Patienten steht dabei eine dynamische Zunahme des Balkens der Kontrollgruppe gegenüber. Diese Korrelation wurde als schwach signifikant belegt.
Abstract:
Problem: This study was prompted by the question whether magnetic resonance images (MRI) is a helpful diagnostic parameter in children with isolated cognitive disorders. In addition we examined, the relationship between the size of the corpus callosum (CC) and a child's mental development with the hypothesis that mentally retarded children show a significant reduction of either the entire CC area or single parts of it as compared to a control group.
Methods: This study's focused on children with mental retardation not showing clear neurological symptoms (thus isolated mental retardation) born between 1985 and 1995 and examined in the Department of Child Neurology of the University of Tübingen including MRI. The MRI-results were evaluated and the characteristics that are important for the CC's morphometry measured. 64 children (21 girls, 43 boys; 52 normocephaly, 12 microcephaly; the age between 3 and 11 years) with isolated mental retardation were compared to a control group of 18 children (5 girls, 13 boys age range). The MRI-results were assessed as "normal", "unspecific findings" and "pathological". In addition, the children's development was assessed.
Results: Microcephalic patients were not more retarded than normocephalic patients. This means that microcephaly is no decisive diagnostic parameter for mental retardation. 54,7 % of the patients und 61,1 % of the control group have been normal concerning their MRI-results. The number of unspecific findings was almost the same in patients as compared to controls (37,5% in patients and 38,9% in the control group), which confirms that these findings are unspecific and have no pathological meaning.
Clear pathological results were found in 5 patients (7,8 %). Two of these (3,1 %) did not offer a sufficient explanation for the mental retardation, but three did (4,7 %). Pathological and unspecific findings were more often found in boys than in girls, which reflected the composition of the entire group examined. Microcephalic patients more often show pathological MRI-results than normocephalic patients. This was, however, not statistically significant due to the small number of patients affected.
The study comes to the conclusion that there is an indication for MRI in children with isolated cognitive disorders. But the probability for specific pathological finding explaining the mental retardation is low (8 %).
CC has been subdivided into in a frontal, a middle and a posterior part. The average characteristic measurements (absolute length, total area, total circumference, areas and circumferences) of the different parts of CC increased in the following order: microcephaly - normocephaly - control group. Except for the length of CC results were almost the same for each of the three groups. The hypothesis that there is a correlation between the size of CC and the cognitive development of unspecifically mentally retarded children could not be confirmed statistically.
After having standardized the results stereotaxically three "morphometric factors" for thickness, compactness and bend of CC and its areas have been defined. Microcephalic patients had thicker and more compact CC than normocephalic patients and the control group. This is not in favour of the assumption that microcephaly is related to a reduced interhemispheric connectivity. In addition there was a slightly significant difference between normocephaly patients and the control group: The latter show a thicker middle part and more a compact posterior part of CC as compared to the normocephalic patients.
The control group and the normocephalic patients differed with respect to age-related growth of CC parameters. In children with unspecific mental retardation we could not observe an age-related growth of CC or single parts of CC. In contrast there was a dynamic growth of CC in the control group with age. This correlation was slightly significant.