Bilder Fontanes gegen den Tod: vom Versteckspielen zum kryptischen Erzählen

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Zitierfähiger Link (URI): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-25850
http://hdl.handle.net/10900/44020
Dokumentart: Wissenschaftlicher Artikel
Erscheinungsdatum: 2007
Sprache: Deutsch
Fakultät: 9 Sonstige / Externe
Fachbereich: Sonstige/Externe
DDC-Klassifikation: 830 - Deutsche Literatur
Schlagworte: Fontane, Theodor , Erzähltechnik , Chiffrierung , Hermeneutik
Freie Schlagwörter: Fontane , kryptisches Erzählen , Literarische Überlieferung , Tiefenhermeneutik
Fontane , cryptic narrative , literary tradition , Hermeneutics
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Inhaltszusammenfassung:

Dieser literarische Essay schließt an meine Dissertation über eine "kryptische", dem Leser sich entziehende Erzählweise Fontanes an und zeigt, inwiefern diese sich aus der Versteckspielpassion des Knaben Theodor entwickelt haben dürfte. Über Stunden hin tief im Heu verborgen und beinahe erstickend, hätte er sich "immer nur durch die glückselige Vorstellung aufrechterhalten: "Und wenn sie dich suchen bis an den Jüngsten Tag, sie finden dich nicht." So heißt es in seinen "Kinderjahren" (1893), wo Fontane dann noch den Triumph beschreibt, nach Abbruch des Spiels sich lässig der resignierten Suchmannschaft zuzugesellen. Ein solch elitäres, von den Mitspielern nie gefundenen Lieblingsversteck war offenbar ein Exerzitium, das ein eigenes utopisches Zeitgefühl aufkommen ließ. Eine vergleichbar zeitentrückte oder schon zeitüberschreitende Verstecksituation ließ Fontane zunächst in Gedichten und Erzählungen wiederaufleben: In "Herr von Ribbeck auf Ribbeck" als Weiterleben über den Tod hinaus, indem der Alte in seinem Birnbaum-Grabversteck die eigenen knauserigen Nachkommen überlistet; in den Erzählungen "Ellernklipp" (1881), "Unterm Birnbaum" (1885) und "Quitt" (1890) als Verstecktwerden der Opfer durch Mörder und Totschläger, die von jenen aber heimgesucht und vernichtet werden; und für die beiden Stiefkinder in "Grete Minde" (1880) als das anfängliche Sehnsuchtsbild des Vogelnestverstecks, das sich für Grete im Zeichen des Schutz- und Racheengels ambivalent erfüllen soll. Allmählich jedoch beginnt Fontane wesentliche Dimensionen seines Erzählens selber zu verstecken. Vor allem in seinen Ehebruchsromanen verknüpft er den sexualsymbolisch erzählten Akt des Ehebruchs in einer förmlichen Tiefentektonik jedesmal mit dem Erzählanfang (der sich Herkommen und Besitz der Hauptfiguren gewidmet hatte) und ebenso mit dem Erzählende (mit der Beilegung des Ehekonflikts im Duelltod des Liebhabers und im Suizid der Frau). In dem ersten dieser Romane, in "L Adultera" (1882), ist es der Mutterleib, der insgeheim als Versteck der Liebenden eingerichtet wird und darüber hinaus die Zuflucht für das Neue sichert. Auch in der bald nachfolgenden Erzählung "Schach von Wuthenow" (1882) zieht sich - wiederum verschlüsselt - der Titelheld in den Mutterleib zurück und harrt im embryonalen Zustand seiner Neuerstehung. Schachs Rückzug aus der Gegenwart in eine pränatale Existenzform hat sich im Ruppiner See auf halbem Wege hin zu Fontanes Geburtsstadt Neuruppin zugetragen. Das zeitüberschreitende und zugleich autoreflexive Motiv arbeitete Fontane in seinem poetischen Vermächtnis "Der Stechlin" (1898) weiter aus. Hier ist es das zentrale Symbol des sagenumwobenen märkischen Sees, diese noch vom Eis der Gegenwart verschlossene Sprudel- und Trichterstelle, die bei Fontane den Charakter eines Schutzverstecks für das Kommende gewinnt und zugleich das Heraustreten aus dem Versteck ankündigt. Denn der von Zeit zu Zeit krähend aus dem See aufsteigende rote Hahn steht nicht allein für die Utopie einer altruistischen Lebensform und das Hervorbrechen der noch subversiven gesellschaftspolitischen Strömungen, sondern auch für Fontanes Erzählen selbst, dessen versteckte Textschichten irgendwann einmal zutage treten müßten. Jahrzehntelang führte Fontane eine Art Geheimprozeß gegen Lebenszeremoniell und -berechtigung der herrschenden Schichten Preußens. Auf nicht absehbare Zeit mußte er dabei seine Leser ausschließen und auch die eigene erzählerische Argumentation in ihrer Radikalität und Raffinesse verborgen halten. Diesem problematischen Zeitverhältnis und den Verlusten darin ist mit den üblichen Vorstellungen von Überlieferungsgeschichte nicht mehr beizukommen, weshalb ihm einige abschließende (tiefen-)hermeneutische Überlegungen gelten.

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