Inhaltszusammenfassung:
Dieser "Essay" enthält Einleitung und Resümee eines autobiographischen "Selbstversuchs" über das Sicherinnern. Er setzt mit wie halluzinatorischen schockierenden Erlebnissen ein, die der Autor bei seiner ersten kurzen Rückkehr in die - bis dahin lange von ihm gemiedenen - Lebensräume seiner Kindheit hatte. Erfahrungen, die so verstörend waren, daß er sich an eine dreifache Recherche machte: in der reinen Erinnerung und sie begleitenden Reflexion, im Erkunden der ehemaligen Lebensstätten und ihres Zeitkolorits sowie durch Gesprächsbesuche bei den inzwischen weit verstreuten Weggefährten.
In der reinen Erinnerung und Reflexion: Dazu war zunächst eine perspektivische Beschreibungssprache zu erproben, die sich so weit wie möglich auf Horizont und Mentalität des Kindes einlassen konnte. Die Analyse der nachfolgenden mehrjährigen Erinnerungsbeschreibung gibt nun einige seelische Konstanten bei der Erinnerungsbildung zu erkennen, die von der Psychologie wie auch von Erinnerungsvirtuosen wie Marcel Proust offenbar übersehen oder nicht recht gewürdigt wurden. Dazu gehören vor allem:
- vor dem inneren Auge wie automatisch ablaufende Erinnerungsprozesse an bestimmte frühkindliche Lebensbereiche; sie fassen eine Serie von zeitlich auseinanderliegenden Erlebnisszenen in einer festen räumlich-visuellen Abfolge zusammen und gestalten so einen Lebenszeitraum, der in dieser Kohärenz und Ereignisdichte nie zu erleben war, doch offenbar die Quintessenz des dort einst Erfahrenen repräsentiert;
- gewisse hartnäckige Phantasiebilder ("Auraphantasien" und "Alter-Ego-Figuren"), die sich im Lauf der Zeit nahezu unbemerkt um unsere Lebenszentren zu lagern pflegen, insbesondere um die wechselnden Wohnbereiche und Schulen;
- die verdeckte und doch dominierende Rolle, die überhaupt die Phantasie über die Jahrzehnte hin für unsere weithin unbewußt verlaufende Erinnerungsbildung sowie für die Bewältigung gravierender Seelen- und Lebenskonflikte spielt.
- die eigenen Begleitträume, die bei einem so langwierigen Erinnerungsprozeß als Erkenntnisquellen ernst zu nehmen sind.
Zur Überprüfung dieser schriftlichen Erinnerungsarbeit suchte der Autor auch viele ehemalige Weggefährten auf, Spielkameraden ebenso wie Lehrer, Freunde ebenso wie Feinde seiner Kindheit. Eine knappe anonymisierte Darstellung führt nun aus, wie er im Gespräch mit diesen Weggefährten vor allem die Momente beachtete, in denen er nach Jahrzehnten wieder mit "ihnen" in Berührung zu kommen glaubte, mit ihrer Persönlichkeit, mit der gemeinsamen Vorgeschichte und der auch kollektiven Dimension persönlicher Erinnerung.
Indem diese Studie ständig nach unserer 'Identität' und Wiedererkennbarkeit fragt, nach dem laufenden seelischen Sichhinwegsterben, dem Todestrotz in der Erinnerung sowie nach gewissen psychobiologischen Hintergründen, kreist sie auch um den altehrwürdigen Topos philosophischer Selbsterforschung. Als Ergebnis einer ausführlichen Zeit-, Seelen- und Entwicklungsdokumentation bewegt sich dieser Essay in Grenzbereichen zwischen Psychologie, Pädagogik, Autobiographie und Lebensphilosophie.