Inhaltszusammenfassung:
Die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) bietet Kindern und Erwachsenen mit fortgeschrittenen bösartigen Erkrankungen oder anderen sonst unheilbaren immunologischen, hämatologischen oder metabolischen Leiden eine potenziell lebensrettende Behandlung. Die erhebliche Weiterentwicklung der HSZT-Technologie in den letzten 30 Jahren begründet eine stetig steigende Zahl durchgeführter Transplantationen und ist mit einem deutlich verbesserten Langzeitüberleben der Patientinnen und Patienten assoziiert. Trotz der großen Fortschritte geht diese Therapieform jedoch weiterhin mit enormen körperlichen und psychischen Belastungen einher. Während den medizinischen Aspekten der HSZT große wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwird, gibt es vergleichsweise wenige Studien, welche die psychosozialen Auswirkungen der HSZT im Kindesalter untersuchen.
Ziel der vorliegenden, prospektiven Studie war es deshalb, durch multiperspektivische Analysen von Art und zeitlichem Verlauf der Belastungen sowie ihrer Einflussfaktoren eine fundierte Grundlage für die Entwicklung angepasster Unterstützungsansätze zu schaffen.
Hierfür wurde der psychische und körperliche Distress von n=39 Kindern im Zeitraum von zehn Tagen vor HSZT bis 200 Tagen nach HSZT an insgesamt acht Messzeitpunkten erhoben (Tag -10, Tag 0 (= Tag der Stammzellgabe), Tag +10, Tag +20, Tag +30, Tag +60, Tag +100 und Tag +200). Die Erfassung erfolgte dabei fragebogenbasiert aus Sicht von Eltern, medizinischem Personal und den Kindern selbst sowie anhand etablierter Stressbiomarker in Speichel (Alpha-Amylase) und Blut (Cortisol, freies Trijodthyronin, freies Thyroxin und Thyroidea-stimulierendes Hormon). Zusätzlich wurden Angstneigung und Zustandsangst der Eltern sowie die Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen vor Beginn der HSZT, an Tag +30 nach HSZT und am Ende des Beobachtungszeitraums anhand von Fragebögen ermittelt.
Insbesondere Jugendliche zeigten schon bei Aufnahme ins Krankenhaus erhöhte psychische Distress-Level. Ein Belastungsmaximum hinsichtlich der körperlichen und teilweise auch der psychischen Belastungen konnte um den Tag der Stammzellgabe beobachtet werden. Dieses berichtete Belastungsmaximum spiegelte sich im Verlauf der Schilddrüsenparameter, nicht jedoch im Verlauf der Cortisol- und Alpha-Amylase-Konzentrationen wider.
Während starker Konsens zwischen Eltern und ihren Kindern in Bezug auf die verschiedenen Distress-Aspekte bestand, erwiesen sich die Übereinstimmungen zwischen den Fremdeinschätzungen von Eltern und Personal höher hinsichtlich der körperlichen Belastungen eines Kindes als der psychischen. Die Schilddrüsenparameter zeigten in 12 von 27 Teilanalysen signifikante, negative Korrelationen mit der fragebogenbasiert erhobenen Belastung.
Alter, Angstneigung der Eltern und Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen hatten in der vorliegenden Stichprobe keinen signifikanten Einfluss auf die Distress-Intensität der Kinder. Signifikante, positive Zusammenhänge zeigten sich jedoch sowohl zwischen der Zustandsangst der Eltern und dem psychischen Distress der Jugendlichen als auch zwischen der Zustandsangst der Eltern und der von ihnen eingeschätzten körperlichen und psychischen Belastungen ihrer Kinder. Hinsichtlich der klinischen Faktoren konnten wenige Distress-modifizierende Parameter identifiziert werden. Jedoch berichteten allogen transplantierte Kinder im Vergleich zu autolog transplantierten Kindern über ein stärkeres Gefühl des Ausgeliefertseins und sowohl haploident transplantierte Kinder (im Vergleich zu Kindern, die eine allogene HSZT durch Fremd- oder Geschwisterspende erhielten) als auch Kinder mit Rezidiv (im Vergleich zu ersterkrankten Kindern) wiesen höhere Cortisolspiegel auf.
Die Erkenntnisse der vorliegenden prospektiven Studie weisen einerseits daraufhin, dass eine ideale Unterstützung bereits vor Beginn der HSZT ansetzen und mindestens die akute, stationäre Transplantationsphase umfassen sollte. Andererseits sensibilisieren sie dafür, die Kommunikation über psychische Belastungen der Kinder im klinischen Alltag in den Fokus zu rücken und, wann immer möglich, die Kinder selbst zu befragen. Weitere Studien mit größeren Kohorten und identischen Selbsteinschätzungsfragebögen für Kinder aller Altersgruppen zur Reevaluation der Einflussfaktoren und zur Eignungsüberprüfung der Stressbiomarker sind nötig. Die zukünftige Erprobung einer kontinuierlichen psychotherapeutischen Unterstützung der Familien vor und während der akuten, stationären Transplantationsphase in randomisiert kontrollierten Interventionsstudien wäre für die bestmögliche Versorgung von Kindern während HSZT von großem Wert.