Inhaltszusammenfassung:
Degenerative Ataxien sind eine Gruppe von seltenen, sich in ihrer Pathologie unterscheidenden Erkrankungen, die als gemeinsames Symptom eine durch Kleinhirndegeneration bedingte Ataxie aufzeigen. Aktuell gibt es für die erblich bedingten Erkrankungen sich in der Entwicklung befindende Therapieansätze. Zur Durchführung von Wirksamkeitsstudien sind objektive Messmethoden des Krankheitsbildes notwendig, die eine Erkrankungsprogredienz oder -verlang-samung sensitiv darstellen. Außerdem ist es wichtig, einen geeigneten Zeitpunkt für den Therapiebeginn zu identifizieren, möglichst noch in der präataktischen Phase der Erkrankung. Die sensorbasierte Bewegungsanalyse eignet sich dafür, objektive Daten über die Bewegungen von Betroffenen zu gewinnen. Diese Arbeit widmet sich der Frage, ob die sensorbasierte Bewegungsanalyse bei der oberen Extremität in der Lage ist, die Bewegungen von gesunden Kontrollen und ataktischen Mutationstragenden zu unterscheiden und den Schweregrad der Erkrankung abzubilden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob präataktische Mutationstragende anhand ihrer Bewegungen identifiziert werden können.
Es wurden drei Aufgaben, der Nine-Hole-Peg-Test, die Diadochokinese-Aufgabe und eine Löffel-Aufgabe, mit IMU-Sensoren an den Hand-gelenken untersucht. An der Aufgabe Nine-Hole-Peg-Test nahmen 71 ataktische, 17 präataktische Mutationstragende und 33 gesunde Kontrollpersonen teil. Bei der Diadocho-kinese-Aufgabe waren es 65 ataktische, 14 präataktische Mutationstragende und 32 gesunde Personen. An der Löffel-Aufgabe nahmen 66 ataktische, 13 präataktische Mutationstragende und 20 Kontrollen teil. Diese absolvierten die Aufgaben jeweils mit ihrer dominanten und ihrer nicht-dominanten Hand, die zuvor mittels der Kurzversion des Edinburgh Handedness Inventory ermittelt worden war. Die Löffel-Aufgabe wurde aufgrund der Alltags-relevanz nur mit der dominanten Hand ausgeführt. Für alle Aufgaben wurde die Jerkiness, die Hauptfrequenz und das Energieverhältnis berechnet. Die Jerkiness beschreibt die Ruckhaftigkeit, die Hauptfrequenz die dominante Frequenz, mit der die Bewegung ausgeführt wurde. Das Energieverhältnis gibt Aufschluss über die Stabilität der Bewegung. Bei der Diadochokinese-Aufgabe wurden die Gyroskop-Daten ausgewertet, bei den anderen Aufgaben die Accelerometer-Daten.
Beim Nine-Hole-Peg-Test zeigte sich das Rausziehen der Stäbchen in der Bewegungsanalyse aussagekräftiger als das Reinstecken der Stäbchen. Es konnte bei allen Parametern auf beiden Seiten zuverlässig zwischen Kontrollgruppe und ataktischen Mutationstragenden unterschieden werden. Bei allen Parametern konnte eine Korrelation mit dem klinischen Score SARA-UL beobachtet werden, sodass sie als Verlaufsparameter geeignet sein könnten. Dabei war die Korrelation mit R = 0,7 und p = 1,61∙10-13 bei der Jerkiness der dominanten Hand am stärksten. Zwischen präataktischen Mutationstragenden und Kontrollgruppe konnte bei der Jerkiness ein signifikanter Unterschied beobachtet werden. Die Jerkiness der präataktischen Mutationstragenden lag jedoch entgegen der Erwartung unterhalb der der Kontrollen. Bei der Diadochokinese-Aufgabe konnte ebenfalls bei allen Bedingungen zwischen Kontrollgruppe und ataktischen Mutationstragenden unterschieden werden, die stärkste Korrelation mit dem SARA-UL zeigte sich hier bei der Hauptfrequenz mit R = 0,72 und p = 1,2∙10-13 mit der dominanten Hand. Bei der Löffel-Aufgabe konnte ein Unterschied zwischen Kontrollgruppe und ataktischen Mutationstragenden nur beim Energieverhältnis festgestellt werden. Weder bei der Diadochokinese-Aufgabe noch beim Energieverhältnis konnte zwischen präataktischen Mutationstragenden und Kontrollgruppe unterschieden werden. In dieser Studie zeigten sich Hinweise darauf, dass sich die Zeit bis zum Erkrankungsbeginn bei präataktischen Mutationstragenden bei der Diadochokinese-Aufgabe mit dem Energieverhältnis darstellen lassen könnte (nicht-dominante Hand: R = 0,64, p = 0,12). Dieser Zusammenhang sollte in weiteren Studien mit einer größeren Stichprobe präataktischen Mutationstragenden weiter untersucht werden. Die Korrelation der anderen Parameter mit der Zeit bis zum EDO ergaben keine starken Zusammenhänge.
Mit diesen Ergebnissen zeigen sich IMU-Sensoren als geeignet für die Bewegungsanalyse der oberen Extremität von Ataxie-Patientinnen und
-Patienten. Es zeigen sich Hinweise auf die Möglichkeit, präataktische Mutationstragende vor Erkrankungsbeginn mittels Bewegungsanalyse zu identifizieren und auf eine mögliche Korrelation der Bewegungsparameter mit der Zeit bis zum Erkrankungsbeginn.