Inhaltszusammenfassung:
Der Lernerfolg bei EBC (Engl. Eyeblink conditioning) – ein Lidschluss evoziert
durch einen vorher neutralen sensorischen Stimulus – wird klassischerweise
dem unbewussten, Kleinhirn-abhängigen, impliziten/prozeduralen Gedächtnis
zugeordnet, und kann ohne Beiträge des Großhirns erlernt werden. Menschen
können jedoch die EBC Assoziation sprachlich beschreiben, und die daraus
resultierenden bewussten Vorhersagen sind unabhängig vom prozeduralen
Lernen, was die Überlegung aufwirft, dass selbst die einfachste Variante der
Reflexkonditionierung die Großhirnrinde einbeziehen könnte, obwohl viele
frühere Studien gezeigt haben, dass der prozedurale Teil des Lernens (d.h. das
Erlernen der konditionierten Reaktionen, CRs) während Delayed-Conditioning
(vielleicht die einfachste Form der klassischen Konditionierung) durch Blockade
des Großhirns nicht beeinträchtigt wird (Oakley and Russell 1977; Mauk and
Thompson 1987; Kronforst-Collins and Disterhoft 1998; Powell and Churchwell
2002).
Es gibt zwei Unterformen von EBC: Delayed-Eyeblink-Conditioning (DEBC) und
Trace-Eyeblink-Conditioning (TEBC). Bei DEBC folgt sich der unkonditionierte
Stimulus (US) mit einer Verzögerung auf den konditionierten Stimulus (CS),
überlappt zeitlich mit ihm und endet gleichzeitig mit diesem. Bei Trace-EyeblinkConditioning (TEBC) gibt es ein stimulusfreies Intervall zwischen dem CS und dem US, was die Bildung einer Gedächtnisspur erfordert, um die beiden Reize
zu verknüpfen. Es wurde gefunden, dass primärer somatosensorischer Kortex
(S1, barrel cortex) bei Nagetieren lernabhängige Plastizitätsveränderungen
während TEBC zeigte (Galvez et al. 2006; Galvez, Weible, and Disterhoft
2007a; Joachimsthaler et al. 2015) , während über seine Beteiligung während
DEBC nur wenig bekannt ist. Aus diesem Grund versuchte die vorliegende
Studie herauszufinden, ob es während des DEBC-Lernprozesses auch
lernbezogene Plastizitätsveränderungen in S1 gibt. Wenn im S1 während der
DEBC ähnliche Veränderungen wie bei der TEBC festgestellt werden könnten,
würde dies die Auffassung unterstützen, dass es sich dabei um eine Folge
eines expliziten Lernvorgangs handelt.
Zu diesem Zweck wurde kopffixierten wachen Mäusen als Versuchssubjekte
verwendet, um während des gesamten Trainings und der Datenerfassung die
höchste experimentelle Kontrolle zu gewährleisten. Mechanische Stimulation
der E1 Vibrisse wurde als CS verwendet und ein Luftstoß gegen die Kornea des
ipsilateralen Auges wurde als US verwendet. Während des gesamten
Lernprozesses wurden die Lidschlussreaktionen registriert, um eine Lernkurve
zu erstellen. Die Plastizitätsveränderungen wurden durch extrazelluläre MultiUnit Feuerraten mittels chronsich implantierter Mikroelektroden in der E1 Barrel
Kolumne registriert. Mithilfe von Matlab Programmen wurden local field potential
(LFP) und Multi-Einheit Spikerate analysiert.
Die Spikerate wurde in Bezug auf den Lernerfolg (von 0 bis 1) dargestellt. Eine
lineare Regressionsanalyse wurde verwendet, um die Beziehung zwischen den
Veränderungen der neuronalen Aktivitäten und dem Lernfortschritt
abzuschätzen. Es wurde die allgemeine Tendenz einer abnehmenden
Spikerate während der CS-Präsentation parallel zum Lernfortschritt gefunden.
Diese Feststellung steht im Einklang mit einer kürzlich durchgeführten Studie
unseres Labors über TEBC-Lernen, bei der ein ähnliches experimentelles
Design verwendet wurde (Silva-Prieto, Hofmann, and Schwarz 2023). Obwohl
die Bedeutung und Funktion dieser neuronalen Aktivitätsunterdrückung nicht
vollständig verstanden sind, ist es wahrscheinlich, dass der S1 einige Aspekte
des assoziativen Lernens in DEBC ähnlich wie in TEBC repräsentiert. Diese
Erkenntnis ist ein erster Schritt zur Aufklärung der neuronalen Grundlagen der
gleichzeitigen und interaktiven Natur von impliziten und expliziten Lernsystemen
im Säugetiergehirn.