Inhaltszusammenfassung:
Der menschliche Schlaf und das menschliche Immunsystem stehen in direktem Zusammenhang zueinander. Aus vorgegangenen Untersuchungen ist bekannt, dass der Schlaf und die damit verbundene Ruhephase für verschiedene Organismen eine entscheidende Rolle für die Aktivität der T-Lymphozyten im menschlichen Körper spielt. Auch einige Untergruppen von T-Lymphozyten wurden bereits in vorangegangenen Experimenten hinsichtlich ihrer Aktivität im Blut von Menschen und Tieren während des Schlafs untersucht. Hierbei konnte gezeigt werden, dass eine Reduktion der Zellen im Blut stattfindet, wenn ein Mensch oder ein Tier einem regelhaftem Schlaf-Wach-Rhythmus folgt. Diese Tatsache suggeriert eine Zellwanderung zu den Geweben hin. Offen war aber bislang, ob diese Veränderungen für mehrere aktuell bekannte Untergruppen von T-Lymphozyten zutreffen und ob die Migration der Zellen von einem bestimmten oder mehreren Chemokinen abhängt.
In der vorliegenden Dissertationsschrift wurden vor diesem Hintergrund mehrere Aspekte des T-Zell-Verhaltens des menschlichen Körpers in Abhängigkeit vom Schlaf untersucht. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand die Untersuchung der Migrationskapazität von menschlichen T-Zellen.
Für diese Untersuchung wurde am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensbiologie der Eberhard Karls Universität zu Tübingen eine experimentelle Studie mit 14 gesunden Proband*innen mit einem Altersdurchschnitt von 23,9 Jahren. Die Proband*innen wurden nach primär festgelegten Kriterien ausgewählt und vor den Experimenten eingehend körperlich und laborserochemisch untersucht. Die Untersuchungen teilten sich in zwei Experimente auf: ein Experiment im Schlaflabor an den Proband*innen und ein Experiment im Zelllabor am Blut der Proband*innen. Das Experiment im Schlaflabor fand unter standardisierten Bedingungen statt - alle Proband*innen mussten je eine Nacht im Schlaflabor schlafen und eine Nacht unter Schlafentzug verbringen. Dabei wurden mehrere Blutentnahmen in standardisierten Abständen durchgeführt. Die entnommenen Blutproben wurden dann im Zelllabor hinsichtlich folgender Parameter untersucht: absolute Zellzahlen der verschiedenen T-Lymphozyt-Untergruppen im Blut der Probanden, Migrationsindex der verschiedenden T-Lymphozyt-Untergruppen bezogen auf die Spontanmigration, die Migration zum Chemokin CCL19 und die Migration zum Chemokin CCL5. Alle genannten Parameter wurden dann in Abhängigkeit der vorhandenen Bedingung (Schlafzustand oder Wachzustand) statistisch ausgewertet.
Die T-Zellen normal schlafender Menschen zeigten im Vergleich zu Menschen unter Schlafentzug eine reduzierte Anzahl im Blut. Außerdem haben wir eine stärkere spontane (ungerichtete) Migration verschiedener T-Zell-Untergruppen festgestellt. Die Anwesenheit von CCL19, einem Chemokin, welches in den Lymphknoten vorkommt, führte außerdem zu einer verstärkten Migration in der Schlafbedingung. CCL5, ein Chemokin, welches die Lymphozyteninfiltration zu den entzündeten Geweben fördert, führte jedoch zu keiner schlafabhängigen Veränderung der Migration. Diese Befunde waren ähnlich für fast alle untersuchten CD3-, CD4- und CD8-T-Zell-Untergruppen.
Lediglich bei einer Untergruppe konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den absoluten Zellzahlen im Blut während des physiologischen Schlafs bzw. während des Schlafentzugs nachgewiesen werden. Diese Gruppe waren die terminalen Effektor-T-Zellen. Die Ergebnisse suggerieren eine verstärkte Migration von T-Zellen in die Lymphknoten. Somit kann davon ausgegangen werden, dass nächtlicher Schlaf dazu führt, dass das menschliche Immunsystem seine Aufgaben besser erfüllen kann, als bei nächtlicher Wachheit (z.B. bei Schlafstörungen oder Schichtarbeit).
Die in dieser Arbeit erbrachten Erkenntnisse könnten in Zukunft im klinischen Alltag, aber auch in der hausärztlichen Versorgung eine wichtige Rolle spielen und sollten mehr in den Fokus geraten, wenn man Therapiepläne für Patienten erstellt, neue Gesundheitseinrichtungen baut oder neue Pläne für Impfschemata oder andere Medikamente entwickelt. Die moderne Medizin hat in den letzten Jahren immer mehr Belege für ein intensives Wechselspiel zwischen Körper und Psyche erbracht. Auch die vorliegende Studie unterstützt diese Annahme, welche in Zukunft größere Beachtung bei der Versorgung von kranken Menschen finden sollte.